Auf Nordsee-Auszeit mit der Vasco Da Gama


Die Vasco Da Gama von Nicko Cruises ist das einzige Hochsee-Kreuzfahrtschiff ihrer Reederei. Ein treues Stammpublikum kann sie trotzdem ihr Eigen nennen, vom deutschen Kreuzfahrtmarkt ist sie längst nicht mehr wegzudenken.

Eine Katze hat neun Leben, die 1992 gebaute Vasco Da Gama ist immerhin schon bei Nr. 4 angekommen. Nachdem ihre Karriere als Statendam bei der Holland America Line 2015 zu Ende gewesen war, fuhr sie als Pacific Eden für P&O Australia. 2019 wechselte sie als Vasco Da Gama an Cruise & Maritime Voyages (CMV), verschwand jedoch nur ein Jahr später im Strudel der Corona-Pandemie mitsamt ihrer Reederei in der Versenkung. 2021 erlebte sie dann eine Wiedergeburt – unter altem Namen, aber neuer Flagge.

War bisher nur ihr Schiffsname portugiesisch, bekam sie nun auch einen portugiesischen Eigentümer. Mário Ferreira, der Eigner der Kreuzfahrtholding Mystic Cruises, hatte die Vasco Da Gama im Oktober 2020 für 10 Mio. € aus der Konkursmasse von CMV ersteigert. Ferreira war bereits seit 2015 an dem Stuttgarter Flussreiseveranstalter Nicko Cruises beteiligt und wollte dessen Geschäft um Hochseekreuzfahrten erweitern. 2021 ging die Vasco Da Gama daher für Nicko Cruises an den Start, auch die Mystic-Expeditionskreuzfahrer World Explorer (2019) und World Voyager (2021 – 2023) fuhren zunächst unter Nicko Cruises-Regie („Kleine Schiffe, große Erlebnisse“). 2024 war die ehemalige Statendam jedoch wieder das einzige Hochsee-Kreuzfahrtschiff bei Nicko, und überdies hat sie in ihrem Marktsegment nicht nur mit der Hamburg von Plantours, sondern auch mit der kompletten Flotte von Phoenix Reisen starke Konkurrenz. Was erwartet den geneigten Kreuzfahrtgast also auf der Vasco Da Gama?

Bremerhaven

Am 01. August 2024 liegt das Schiff an der Bremerhavener Columbuskaje, dem Start- und Zielhafen der meisten Kreuzfahrten, welche die Vasco Da Gama in den Sommermonaten in Nordeuropa unternimmt. Etwas unglücklich direkt unter ihrem Schiffsnamen steht „Time to discover“, jener Slogan, mit dem Nicko Cruises die Reisen des Schiffes bewirbt. „Schöner kann man die Welt nicht bereisen” klingt er ungleich sperriger im Deutschen, doch die Botschaft ist klar: Die ‚Waschko‘ ist kein Partydampfer, sondern unternimmt klassische Kreuzfahrten, bei denen die angelaufenen Ziele, und nicht das Schiff selber im Mittelpunkt stehen. Die Konkurrenz ist an diesem Tag übrigens nicht weit – nur ein paar Meter weiter weser-abwärts hat die Deutschland von Phoenix Reisen festgemacht, auch sie nicht gerade verdächtig, feierwütige Mittzwanziger von einem Party-Hotspot zum nächsten zu schippern.

Auch Kabine 4142 an Bord der Vasco Da Gama, eine Standard-Zweibettaußenkabine auf Deck 4, macht keine Zugeständnisse an die Generation Aida. Der Teppichboden in Dunkelblau gehalten und mit weißen Punkten gesprenkelt und die Möbel in einem dunklen Holz daherkommend, fühlt man sich dort auf Anhieb wohl. Hier lässt es sich auch länger aushalten und muss dies zuweilen sogar – einmal im Jahr (im Oktober) geht die Vasco Da Gama nämlich auf große dreimonatige Weltreise. Von den 629 Kabinen an Bord sind über die Hälfte (352) Außenkabinen wie diese; 129 sind Innen- und 148 (25%) Balkonkabinen und Suiten. Damit repräsentiert diese Schiffsklasse jene Zwischenperiode in den 1990er Jahren, in welcher der Trend zu Balkonkabinen zwar schon existierte, sich jedoch noch nicht mit aller Konsequenz in der Architektur der neugebauten Kreuzfahrtschiffe durchsetzte.

Auf dem Nachttisch der Kabine wurde an eine verstellbare Leselampe gedacht, auf Bett und Sofa an gemütliche Kissen, und bei den Unterlagen für die Reise liegt ein praktischer kleiner Decksplan zum Zusammenfalten im Scheckkartenformat dabei. Einen solchen sucht man auf Schiffen, die dreimal größer sind (und wo er daher umso nötiger wäre), leider regelmäßig vergeblich, hier jedoch pflegt man die Liebe zu Details wie diesem. Auch Yogi und Wilmer hinterlassen auf einem Kärtchen einen kurzen Gruß, meine beiden Kabinenstewards während der bevorstehenden „Auszeit vor der Küste Hollands“.

Eigenwilliges Layout

Bis unser „Zuhause auf hoher See“ (Nicko Cruises) um 18 Uhr ablegt, sind es noch vier Stunden, das bietet Gelegenheit, einen ersten Rundgang über das Schiff zu unternehmen. Dabei fällt auf: Das Layout dieser Schiffsklasse, zu der auch noch die Renaissance (ex Maasdam), Celestyal Journey (ex Ryndam) und Aegean Majesty (ex Veendam) gehören, ist eigenwillig. So endet Deck 7, auf dem sich rings um das in den Farben Blau, Schwarz und Messing gehaltene Atrium angeordnet immerhin die Rezeption, das Landausflugsbüro und die Fotogalerie befinden, mittschiffs in einer Sackgasse. Das auf diesem Deck achtern gelegene Waterfront Restaurant (und das dazugehörige achtere Treppenhaus) lässt sich daher nur über Deck 6 oder 8 erreichen. Auf Deck 8 wiederum gibt es öffentliche Räume gleich zu beiden Schiffsseiten, was man so eigentlich nur von Kreuzfahrtschiffen kennt, die wesentlich größer sind als die Vasco Da Gama. Die achteren Sonnendecks dagegen erreicht man, indem man entweder einen Kabinenkorridor (Deck 9/10) oder aber das Büffetrestaurant „Club Bistro“ (Deck 11) durchquert. Und von Deck 11 nach 12 schließlich gelangt man nur über eine enge Wendeltreppe in einem verglasten Mini-Treppenhaus, in der einem auch niemand entgegenkommen darf.

Hat man sich an diese „Schrulligkeiten“ einmal gewöhnt, fällt die Orientierung an Bord aber leicht. Und ins Herz schließen lässt sich die Vasco Da Gama sowieso einfach. Mit ihren altmodischen Teakholz-Planken, den stets nach Möbelpolitur riechenden Holztreppen und dem herrlich breiten rundum laufenden Promenadendeck (Deck 6) ist sie mittlerweile ein Schiffsklassiker wie aus dem Bilderbuch. Meterhohe Windschutzscheiben sucht man hier genauso vergeblich wie komplett abgeriegelte Schiffsbereiche, die einer Extraklasse besser zahlender Passagiere vorbehalten sind. Stattdessen verfügt die ehemalige Statendam über die achteren Sonnendecks eines wahren Ocean Liners, wie sie vielleicht 1992 nur noch die Bauwerft einer Raffaello und einer Eugenio C bauen konnte.

Abfahrt

Als die Stunde der Abfahrt näher rückt, scheint die Sonne über Bremerhaven, der „charmanten Hafenstadt an der Nordsee“ (Tagesprogramm). Die Vasco Da Gama kann daher einen weiteren Vorteil ausspielen: Die Besatzung öffnet das Schiebedach über dem Pool auf dem Lido-Deck, der auf diese Weise zu einem zweiten Außen-Pool wird. (Es ist übrigens nicht der Kapitän, der über Öffnung oder Nichtöffnung entscheidet, sondern der Barkeeper an der Poolbar. Wenn ihm und seinen Gästen der Treibhauseffekt unter dem Glasdach zu stark wird, reicht ein Anruf auf der Brücke und es wird „gelüftet“.) Das Wasser im Pool hat eine Temperatur von 28°C, und auch der Außenpool ist beheizbar; auf diesem Schiff muss also beim Baden und Plantschen niemand frieren. Eine elegante Delfin-Skulptur wacht über das Geschehen zwischen Alfresco Grill und Cappuccino Bar, einzig die im Türkisblau des Konkurrenten Phoenix Reisen gehaltenen Sonnenliegen irritieren hier optisch ein wenig.

Zu lange sollte man sich hier jetzt allerdings ohnehin nicht mehr aufhalten, denn um 17 Uhr steht die obligatorische Seenotübung auf dem Programm. Danach ist Adrian Firsov am Zuge, der rumänische Kapitän der Vasco Da Gama. Pünktlich auf die Minute um 18 Uhr lässt er an der Columbuskaje die Leinen losmachen und steuert sein Schiff vorbei an der Deutschland und der Aroya (ex World Dream) in die Unterweser. Am Eurogate noch die Containerschiffe von MSC passiert, und schon liegt die Nordsee vor uns, und damit endgültig drei Tage Auszeit auf einem Schiff, das bereits eine Menge Liebhaber gewonnen zu haben scheint, obwohl es erst ein paar Jahre auf dem deutschen Markt vertreten ist.

Die Restaurants

Das klassische Abendessen mit fester Tischzeit und festem Platz im Restaurant für die gesamte Dauer der Reise gibt es auf der Vasco Da Gama nicht mehr, dieses Modell hat sich zunehmend überlebt. Stattdessen haben die Passagiere die Wahl zwischen vier Restaurants, in denen jeweils freie Platzwahl herrscht: das Waterfront Restaurant auf Deck 7 achtern, die auf Deck 8 achtern nebeneinander liegenden Restaurants „Fusion“ und „Mediterran“ sowie das Büffetrestaurant „Club Bistro“ auf Deck 11. Mittags und abends speist man hier flexibel zwischen 12 und 14:30 Uhr bzw. zwischen 18 und 22 Uhr, wobei man aus verschiedenen angebotenen Menüs auswählt, während im Büffetrestaurant die Portionen nach Ansage (bzw. Draufzeigen) auf den Teller gegeben werden. Die Portionen selber sind dabei recht überschaubar. Was auf Reedereiseite helfen mag, Kosten und Essensverschwendung zu sparen, bedeutet für den einen oder anderen (hungrigen) Passagier lästiges Schlangestehen für die gewünschte Probeportion oder einen Nachschlag. Die Abendgarderobe, auch dies ein Zugeständnis an den modernen Kreuzfahrt-Zeitgeist, kann auf dem Nicko-Schiff übrigens zu Hause bleiben. „Sportlich und bequem ist die Devise an Bord“, heißt es von Seiten der Reederei, und auch zum Abendessen ist lediglich „gepflegte Kleidung“ gewünscht.

Reservierungs- und zuzahlungspflichtig ist an Bord der Vasco Da Gama einzig das intime „The Grill“ auf Deck 8, das auch gerne für geschlossene Gesellschaften genutzt wird. In diesen Genuss kommt auch der Autor dieser Zeilen, der am ersten Abend der Kurzreise zusammen mit einer Pressegruppe in das „The Grill“ eingeladen ist. Auf der Karte steht ein sagenhaft zartes Hirschfilet, das zusammen mit dem köstlichen (natürlich portugiesischen) Rotwein keine Wünsche offenlässt.

Die Lounges

Wer frisch gestärkt in den zweiten Teil des Abends startet, hat dazu die Qual der Wahl zwischen verschiedenen Lounges und Bars, von denen, man muss es so sagen, eine gemütlicher ist als die andere. Egal ob „Ocean Bar“, „Captain’s Club“, „Sports Lounge“ oder Blue Room” (alle auf Deck 8 gelegen) oder die Panorama Bar “The Dome” hoch oben auf Deck 12 noch über der Kommandobrücke – an Rückzugsorten und „Wasserstellen“ mangelt es auf der Vasco Da Gama nicht. Ebenso empfehlenswert: das Lesezimmer mit seinen riesigen strandkorbartigen Sesseln, die direkt auf die großen Panoramafenster ausgerichtet sind. Denn was kann es Entspannteres geben als die Lektüre eines guten Buches beim Blick aufs Meer?

Das bordeigene Entertainmentprogramm ist entsprechend zurückgenommen. Auf diesem Schiff wäre es deplatziert, wenn sich wie anderswo die Live-Bands an Lautstärke gegenseitig zu übertreffen versuchten und auf diese Weise einen einzigen musikalischen „Brei“ erzeugen würden, vor dem es nirgendwo ein Entrinnen gibt. Stattdessen spielt Alex Klaviermelodien im Blue Room, während die Zwei Mann-Band „Hitback“ zwischen Ocean Bar und Captains Club hin und her pendelt. Thematisch wechselt das dabei Dargebotene zwischen “Take me home Country Roads” und “Beyond the Sea”, damit tritt man auch geschmacklich niemandem auf die Füße. DJ Aurel hat derweil im „Dome“ Stellung bezogen, während eine Sand-Artistin zu Filmmusik von Hans Zimmer Sandmalereien auf die Leinwand in der großen Hollywood Show Lounge zaubert. Letztere fasst immerhin 500 Personen, ist aber trotzdem so gebaut, dass jederzeit Nähe zum Publikum herrscht, wie uns ein begeisterter Hoteldirektor erzählt.
Das Gute an all dem ist außerdem: Niemand muss heute zeitig ins Bett gehen, weil morgen bereits in aller Frühe die ersten Tourbusse am Pier warten, um die Landausflügler aufzunehmen. Unsere morgige Ankunft in Amsterdam hat sich wegen des hohen Schiffsaufkommens in der Schleuse und im Nordseekanal auf 13 Uhr verschoben, also ist an Bord keine Eile angesagt – weder heute Abend noch morgen früh.

Nach Amsterdam

Auch lässt das relativ späte Frühstück um 7:30 Uhr am nächsten Morgen genügend Zeit, noch vorher weitere Bereiche der Vasco Da Gama kennenzulernen, die einem ansonsten vielleicht entgehen würden. Dabei stößt man unweigerlich auch auf die Vergangenheit des Schiffes als HoIland America-Liner. So sind z. B. sämtliche Kabinenkorridore mit Bildern eines anderen niederländischen Themas dekoriert; während eines historische Stadtansichten von Amsterdam und Rotterdam zeigt, zieren die Wände ein Deck darüber Bilder alter Segelschiffe und anderswo wiederum historische Schwarzfotografien vergangener Passagierschiffe der Holland America Line. Nach Überbleibseln ihrer australischen oder britischen Vergangenheit muss man dagegen schon länger suchen. Vor dem Kinderspielzimmer liegt ein einsamer alter Teppich mit Cruise & Maritime Voyages-Logo darauf, ansonsten kann vor allem die Besatzung ein (Klage)Lied davon singen, wie es ist, auf einem Schiff mit gleichermaßen amerikanischer, australischer und britischer Vergangenheit zu arbeiten: So ist die schiffsweite Anpassung der Steckdosen mit ihren unterschiedlichen Standards ein Unterfangen, das mitunter einer Sisyphos-Arbeit gleicht…
Um 9:30 Uhr erreicht die Vasco Da Gama die Schleuse in IJmuiden, da hat mich Yogi, mein Kabinensteward, auf dem Korridor längst bei meinem zweiten Vornamen mit einen fröhlichen „Hello Mr. Oliver“ begrüßt. Yogi ist eines von aktuell 538 (maximal 560) Crewmitgliedern an Bord, die aus insgesamt 33 Nationen stammen. Ihnen gegenüber stehen an diesem Morgen 999 Passagiere, womit das Schiff seine Kapazität von 1.260 Passagieren (bei Doppelbelegung) nicht ganz ausschöpft. Selbst dann erreicht es aber mit 2,2 immer noch ein Passenger/Crew-Ratio, von dem man bei Aida, TUI Cruises u. a. nur träumen kann. Da lässt es sich auch verschmerzen, dass der amerikanische Kreuzfahrt-Papst Douglas Ward in seinem Standardwerk „Cruising and Cruise Ships“ die Vasco Da Gama von der Kategorie ***+ auf harsche **+ heruntergestuft hat, als sie 2019 von australischen in britische Hände wechselte. Ein Zeichen für die andauernden Modernisierungen und Renovierungen, die das Schiff seitdem erlebt hat, ist jedoch die Tatsache, dass es in der aktuellen Ausgabe (2025) wieder in die Riege der Drei Sterne-Schiffe zurückgekehrt ist. Und damit doch wieder in derselben Liga spielt wie eine AidaDiva oder eine Ambience.

Ein Wort vom Hoteldirektor

Weitere Hintergrundinformationen rund um den Betrieb der Vasco Da Gama erfahren wir während der vormittäglichen Passage des Nordseekanals von Hoteldirektor Stefan Ohme und Restaurant Manager Matthias Dobrzinski, die bereitwillig Fragen der mitreisenden Journalisten beantworten. So sei die Vasco Da Gama im Rahmen ihrer Reisen für Nicko Cruises natürlich ein durch und durch deutsches bzw. deutschsprachiges Produkt. Wenn sie aber Bremerhaven im Herbst hinter sich lässt und auf Weltreisekurs geht, wird auch das Publikum des Schiffes internationaler. Die einzelnen Segmente besagter Weltreise können nämlich auch einzeln gebucht werden, und da kommt der portugiesische Eigner Mystic Cruises mit seinem weltweiten Agentur- und Reisebüro-Netzwerk ins Spiel. Was dann schon mal dazu führt, dass in La Valletta plötzlich 200 Briten zusteigen, deren Sauna-Gewohnheiten so gar nicht zu denen des deutschen (Stamm-)Publikums an Bord passen wollen…

Ansonsten garantiert die portugiesische Flagge, unter der die Vasco Da Gama selbstredend fährt, dass an Bord europäische bzw. EU-Standards eingehalten werden. Überdies darf auf einem portugiesischen Schiff die regelmäßige Wein-Verkostung nicht fehlen, und auch portugiesische Spezialitäten für die Küche werden natürlich an Bord genommen, wenn die „Vasco“ Halt in Porto, Lissabon, Setubal oder Funchal macht. Auch die Brückenoffiziere rekrutieren sich z. T. aus portugiesischen Seeleuten.

Kinder sind aktuell 55 an Bord, davon 22 Teenager. Die Kernzielgruppe der Vasco Da Gama stellen sie aber nicht dar, weshalb für sie auch meist kein spezielles Bordangebot ausgearbeitet wird. Das sei aber auch gar nicht notwendig, denn die kleinen Kinder finden das Schiff und das ganze Drumherum an sich schon spannend genug, während die größeren sich sehr gut selbst beschäftigen können und bestimmt kein von Erwachsenen für sie vorgefertigtes Programm absolvieren wollen. Am stärksten vertreten an Bord der Vasco Da Gama sind dafür „Best Ager“, vor allem auf den Reisen ab/bis Bremerhaven. Je weiter weg die Reise geht und je aufwendiger sich die An- und Abreise gestaltet, desto jünger ist in der Regel auch das Publikum an Bord. Der eine oder andere Rollator gehört aber dennoch zum regelmäßigen Anblick, auch auf dieser Reise.

Während draußen auf der Kanalpassage links und rechts vom Schiff Wiesen und Felder vorbeiziehen, bereitet die Crew das Lido-Deck für den (für viele) ersten Höhepunkt der Kurzkreuzfahrt vor: Um 11 Uhr startet der „Frühschoppen auf dem Lido-Deck“, den sich auf einem (quasi) deutschen Schiff natürlich fast niemand entgehen lässt. Dazu gibt es die unvermeidlichen deutschen Schlager vom Band, vor denen dann bis zur Ankunft in Amsterdam auch kein Entkommen mehr ist. Wohlweislich hat man die Vorträge des Bord-Lektors im Theater auf 8:30 Uhr und 10 Uhr gelegt, sonst hätte der gute Mann mit seinem Wissen über „Grachten, Rotlicht, Giebelhäuser“ vermutlich einen schweren Stand gehabt. Gleiches gilt für das Boccia-Turnier auf dem Sportplatz auf Deck 12, wo strittige Situationen mit dem „unfehlbaren Maßband“ geklärt werden, wie das Bordprogramm versichert. Ein deutsches Schiff halt.

Das Rijksmuseum

Wie sehr sich dagegen die internationale Kreuzfahrt gewandelt hat, wird überdeutlich, als die Vasco Da Gama um 13 Uhr am Passenger Terminal Amsterdam anlegt. Zusammen mit uns ist nämlich ein weiterer Cruise Liner in der Stadt, und diesem gegenüber nimmt sich die ‘Vasco‘ wie ein besseres Ausflugsschiff aus: Es ist die riesige Norwegian Prima der Norwegian Cruise Line, die 2022 in Dienst gestellt wurde und auf 20 Decks über 3.000 Passagiere befördern und bespaßen kann. Nicht weniger als drei Tanker liegen gerade längsseits, um sie für das nächste Teilstück ihrer Kreuzfahrt mit Treibstoff zu versorgen, während sich mehrere Wasserrutschen ihre Decks entlang- oder hinabschlängeln, die man auf der Vasco Da Gama vergeblich sucht (und die hier auch niemand vermisst). Staunen und Kopfschütteln wechseln sich an der Reling ab, als sich unser „kleines“ Schiff an der Norwegian Prima vorbeischiebt und vorsichtig seinen Platz an der Amsterdamer Veemkade einnimmt.
Auf meinem bzw. dem Presse-Programm steht für den Nachmittag das weltberühmte Rijksmuseum, verbunden mit einer Grachtenfahrt dorthin. Das Museum ist an diesem Sommertag mehr als gut besucht und erschlägt einen förmlich mit seiner Vielfalt und Fülle an Kunstwerken aus gut 900 Jahren. Verteilt über vier Etagen und ausgebreitet auf acht Abteilungen ist die Sammlung in dem Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert ein Eldorado für jeden Kunstliebhaber, und eigentlich bräuchte man mehrere Tage, um sie in all ihrer Pracht zu erfassen. „Die Nachtwache“ von Rembrandt hat einen kompletten Saal für sich, andere Werke von Weltrang, die sich hier ein Stelldichein geben, sind „Die Dienstmagd mit Milchkrug“ (Jan Vermeer), „Der fröhliche Trinker“ (Frans Hals), ein Selbstporträt von Vincent van Gogh u. v. m. Zwei Stunden reichen im Rijksmuseum gerade mal für einen flüchtigen ersten Eindruck, der aber definitiv Lust macht auf mehr.

Ein Abend im Hafen

Wieder an Bord, führt mich mein Weg am Abend ins Fusion Restaurant mit seiner asiatisch inspirierten Einrichtung und Dekoration. Die Speisekarte ist hier aber keine andere als in den übrigen Restaurants an Bord, man darf also nicht vom Ambiente mit Wandbildern japanischer Geishas und chinesischer Kutschen auf die Menüfolge schließen.

Die Norwegian Prima hat Amsterdam bereits um 17:30 Uhr wieder verlassen, die Vasco Da Gama hat also den Kai am Abend für sich. Die Passagiere nutzen dies für ein ständiges Kommen und Gehen, sooft bietet sich auf einer Kreuzfahrt schließlich nicht die Gelegenheit, den Zielhafen auf eigene Faust zu erkunden, ohne dabei ständig auf die Uhr gucken zu müssen. Der zentrale Liegeplatz des Schiffes in Amsterdam ist da ebenso ein Segen, denn in ein paar Fußminuten ist man von hier aus am Amsterdamer Hauptbahnhof, im berühmten Rotlichtviertel der Stadt oder am Rembrandthaus.

Wer die Heimeligkeit der Vasco Da Gama dem regenbogenbunten Treiben in den Straßen Amsterdams vorzieht, findet jedoch auch an Bord Abwechslung und Zerstreuung. Um 21 Uhr lädt das Showensemble des Schiffes zu einem „glamourösen Abend“ unter dem Namen „Hollywood Forever“ ins Theater ein, und in der Ocean Bar hat die Band gewechselt; sie heißt nun „Rhythm & Mix“, pendelt aber wie die Vorgängerband zwischen 19 und 24 Uhr zwischen besagter Bar und dem Captain’s Club hin und her. Auch das Lido-Deck lädt mit seinem offenen Schiebedach bei sommerlich warmen Temperaturen zum Verweilen ein, nur der Pool ist zu spätabendlicher Stunde bereits abgedeckt.

Abschied von Amsterdam

Am nächsten Morgen erfordert ein besonderer Moment besondere Maßnahmen: Schon um 5 Uhr klingelt mein Wecker, weil die Vasco Da Gama heute auf ein spezielles Schiff trifft. Es ist die Nieuw Statendam, die um 6 Uhr den Platz vor uns am Pier belegen soll, und damit praktisch die Nachfolgerin unserer alten Statendam. Nach 23 Jahren in der Flotte der Holland America Line hatte die heutige Vasco Da Gama im Jahr 2015 einem größeren Neubau Platz machen und aus der HAL-Flotte ausscheiden müssen. Pünktlich begleitet nun ein Schlepper den 2018 gebauten Kreuzfahrt-Koloss (99.000 BRZ, 300 Meter Länge) an den Pier, an Bord der „kleinen“ Statendam nimmt davon jedoch außer mir kaum jemand Notiz.

Auch zur Frühstückszeit (heute schon um 7 Uhr) geht es noch ruhig zu an Bord, einen schönen Platz am Fenster des Büffetrestaurants „Club Bistro“ auf Deck 11 zu finden ist daher kein Problem. Köstlich sind Brot und Brötchen – da man merkt sofort, dass die Vasco Da Gama tief unten im Schiff eine eigene kleine Bäckerei besitzt. Den Vormittag nutzen viele Passagiere für einen zweiten (oder dritten) Landgang in Amsterdam, die Zeit bis zur Abfahrt reicht heute noch einmal locker für einen Museums- oder Stadtbummel. Auch ich begebe mich an die frische Luft und nutze die Vormittagsstunden für eine kurze Fahrt mit der IJ-Fähre ans andere Ufer der Stadt nach Ijplein. Hier ist die Welt plötzlich eine komplett andere. Statt Touristenmassen, Stadtrundfahrtbussen und fliegenden Händlern Schrebergärten, Eisdielen und Segelboote. Herrlich. Auch der Anblick der alten und neuen Statendam nebeneinander ist großartig, und die Sommersonne macht den Abschied von Amsterdam am Mittag zusätzlich schwer. Nach 24 Stunden in der niederländischen Metropole legt die Vasco Da Gama um 13 Uhr wieder ab und macht sich auf den Rückweg die zweistündige Passage des Nordseekanals hinab nach IJmuiden. Zwei Stunden Ruhe und Beschaulichkeit inmitten des holländischen Flachlands, ehe uns nach der Schleusung um 15 Uhr die rauen Nordseewellen wiederhaben.

Hinter den Kulissen

Als der Lotse eine halbe Stunde später von Bord ist, hat die Besatzung Zeit für eine Führung hinter den Kulissen der Vasco Da Gama. Zunächst geht es durch das Reich des rumänischen Chefkochs Casius Ichim: die blitzblanke Küche, wo ein Wand-Display sekundenaktuell anzeigt, welche Menü-Bestellungen in welcher Anzahl die Kellner in den Restaurants ein Deck weiter oben an ihren Tablets aufgenommen haben. Hier befindet sich auch die berühmte Rolltreppe, auf der die Kellner ihre vollbepackten Tabletts zu den Restaurant-Tischen tragen.

Weiter geht es zu den bis unter die Decke gefüllten Lagerräumen, in denen es auf jeden Zentimeter ankommt, wie uns die zuständigen Besatzungsmitglieder erläutern. Was die Crews der kleinen Expeditionskreuzfahrtschiffe der Reederei ein bisschen anders sehen, die der Meinung sind, die große Vasco Da Gama könne jederzeit überschüssige Ware aufnehmen oder von ihrer eigenen abgeben, wenn es in einem Hafen zu einem Treffen mit World Explorer & Co. kommt. Dabei sei, berichtet der F & B Manager, hier wie dort alles genau abgezählt, so dass selbst Saucen an Bord eigens aus Originalzutaten hergestellt würden, weil für Fertigprodukte in Kartons gar nicht genug Platz sei.

Vom Frischfleisch-Lager ist es dann ein Klimaschock, als wir anschließend die Wäscherei betreten. Während in ersterem eine Temperatur von minus 20°C herrscht, beträgt die Raumtemperatur in letzterer plus 40° C. Hier wie dort muss das Arbeiten trotz geeigneter Kleidung eine Qual sein – Strapazen, von denen die Passagiere in den angenehm klimatisierten öffentlichen Räumen weiter oben im Schiff kaum etwas wissen.

Am Ende der Führung geht es in das Heiligtum eines jeden Schiffes – auf die Kommandobrücke. Auf Deck 10 gelegen, begrüßt uns hier ein bestens aufgelegter Kapitän Firsov. „A Captain never sleeps, he only rests“, erzählt er jovial und beantwortet seine eigene Frage, welche die wichtigste Maschine an Bord sei, ebenfalls gleich selbst: die Kaffeemaschine natürlich. Ansonsten beeindrucken an den Wänden der Brücke vor allem die vielen Hafenplaketten, welche die riesige Anzahl, die bereits in den Korridoren auf Deck 8 ausgestellt sind, noch einmal übertreffen. Zwischen Flaggenkasten, Generalplänen und Brandschutzdisplay sind es hier vor allem die Erinnerungsstücke aus der australischen Zeit des Schiffes als Pacific Eden, die die heutige Vasco Da Gama als wahre Weltenbummlerin ausweisen. Und auch die Original-Schiffsglocke hat einen Ehrenplatz auf der Kommandobrücke. Altem Seefahrer-Aberglauben zufolge bringt es Unglück, die Original-Glocke eines Schiffes zu bearbeiten oder von Bord zu bringen, also steht noch immer „Statendam 1992“ auf dem blankpolierten Stück italienischer Wertarbeit.

Darüber hinaus erzählt Kapitän Firsov stolz von den diversen Aufbereitungsanlagen, die an Bord zum Umweltschutz beitragen, so dass alles am Ende wieder dorthin zurückkehrt, wo es hergekommen ist. Das gilt für das Meerwasser, das an Bord zu Frischwasser aufbereitet wird und nach seinem Verbrauch wieder gereinigt ins Meer abgegeben wird genauso wie für Nahrungsmittelreste, die an Bord gepresst, getrocknet und z. B. als Fisch- oder Agrarfutter wieder zurück in den Kreislauf finden. Last but not least ist für die Vasco Da Gama für 2025 auch noch der Einbau der entsprechenden Technik vorgesehen, um in den Häfen Landstromanlagen nutzen und so die schiffsseitigen Emissionen reduzieren zu können.

Zurück nach Bremerhaven

Am Abend präsentiert Kreuzfahrtdirektorin Ann-Christin Eichel im Bordtheater den Gästen die leitenden Offiziere und „Department Heads“ an Bord, auch dies keine Selbstverständlichkeit mehr, zumal auf einer so kurzen Reise wie dieser. Es folgt die Show „Rock on“ mit Klassikern der Rock-Geschichte, die sehr kurzweilig daherkommt, auch wenn die Musik selber leider nicht live ist, sondern vom Band kommt.

Zum Abendessen geht es heute der Abwechslung halber ins Waterfront Restaurant auf Deck 7, wo es, auch das eine aussterbende Institution, einen großen Tisch für Alleinreisende gibt. Warum dieser so seine Tücken hat, erschließt sich mir ziemlich bald, denn während die eine Hälfte der hier versammelten Solo-Reisenden prächtig miteinander auskommt und zwischen den Speisen bei köstlichem portugiesischem Hauswein großen Spaß an Small Talk und Kennenlernen hat, kaut die andere betreten schweigend vor sich hin und hofft vermutlich, das erzwungenermaßen gemeinsame Essen so bald wie möglich hinter sich zu bringen.

Anderswo an Bord kann von derlei gesellschaftlichen Konventionen aber keine Rede sein. Die Vasco Da Gama ist ein legeres Schiff, auf dem man leicht mit seinen Mitreisenden in Kontakt kommt, wenn man das möchte, auf dem man sich aber auch wunderbar für eine Stunde oder zwei alleine in eine Bar oder Lounge zurückziehen kann. Tatsächlich schafft das Schiff auf beeindruckende Weise den Spagat zwischen der klassischen Kreuzfahrt mit Bordangeboten, die anderswo längst abgeschafft oder nur gegen Aufpreis zu bekommen sind, und einem erschwinglichen modernen Seereisen-Produkt, das die Wünsche und Ansprüche heutiger Kreuzfahrer aufgreift, die sich jedoch auf einem größeren Cruise Liner für drei- oder viertausend Passagiere nicht wohlfühlen würden. Eine Vertreterin dieser Generation liegt in Form der Mein Schiff 4 an der Bremerhavener Columbuskaje, als die Vasco Da Gama am vierten und letzten Tag ihrer „Auszeit vor der Küste Hollands“ ebenfalls dorthin zurückkehrt. 381 Seemeilen hat sie seit dem vergangenen Donnerstag absolviert, was nichts ist im Vergleich zu den über 30.000 Meilen, die das Schiff auf seinen Weltreisen zurücklegt. Lust auf mehr hat die Kurzreise auf dem sympathischen Nicko-Kreuzfahrtschiff aber auf jeden Fall gemacht.

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Kai Ortel

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