Hondius: Expeditionsschiff Mit Familiärem Touch
Oceanwide Expeditions ist seit 1983 eine feste Größe auf dem Markt für Expeditionskreuzfahrten. Oceanwide betreibt vier Schiffe, darunter das Flaggschiff Hondius, auf dem Pressevertreter und Expedienten im Juni dieses Jahres auf einer Fahrt von Vlissingen nach Aberdeen erleben konnten, was eine Expeditionskreuzfahrt ausmacht.
Das holländische Vlissingen ist nicht gerade der naheliegendste Starthafen für eine Kreuzfahrt. Die Autofähre nach England gibt es schon lange nicht mehr, und andere niederländische Häfen wie Amsterdam oder Rotterdam sind weitaus leichter zu erreichen. Vlissingen ist demzufolge eine ziemlich verschlafene Küstenstadt, die von allen Kreuzfahrtanbietern bis auf einen übersehen wird.
Oceanwide Expeditions hat seinen Sitz in dem holländischen Nordsee-Vorposten, so dass der Busfahrer stolz auf die Reedereizentrale auf der anderen Straßenseite hinweist, als er die Passagiere der Hondius vom Bahnhof zum Schiff bringt. Das 2019 in Kroatien gebaute und nach einem niederländischen Kartographen aus dem 16. Jahrhundert benannte Oceanwide-Flaggschiff startet an diesem sonnigen Junisamstag in neue Arktis-Saison.
Das Abenteuer beginnt schon vor der Abfahrt. “Sie sollten hier sein und gleichzeitig sollten Sie nicht hier sein”, wird den 147 Passagieren des Schiffes gesagt, als sie mitsamt Gepäck auf die Einschiffung warten. Da die Hondius gerade eine vierwöchige Überholung hinter sich hat, ist der Werftpier nicht die erste Wahl, um die neuen Kreuzfahrtgäste an Bord zu bringen, zumal auch der niederländische Zoll noch weit und breit nicht zu sehen ist. Der Check-In beginnt daher auf die altmodische Weise mit Klemmbrett und Stift, bevor die Passagiere über eine Werftgangway der rustikaleren Art die Hondius betreten und ihr Gepäck anschließend auf demselben Weg an Bord gelangt.
Ein erster Blick in die Runde offenbart übrigens eine Menschenmenge, die man in den Terminals von Miami und Barcelona eher nicht findet: Die Oceanwide-Passagiere sind entschieden jünger als das übliche Cunard- oder Celebrity-Publikum, und sie haben sich für das, was ihnen in den kommenden Tagen bevorsteht, auch sicherlich nicht herausgeputzt. Auf ihren Motto-T-Shirts sind Vögel und andere Tiere bzw. lustige Sprüche zu sehen, und viele von ihnen haben auch eine wertvolle Kameraausrüstung dabei. Diese Leute sind definitiv nicht zum Bingo-Spielen oder Tanzen an Bord, für sie stehen die nächsten Tage im Zeichen von Tierbeobachtungen und Fotografie.
Die Oceanwide-Geschichte
Oceanwide Expeditions geht auf das Jahr 1983 zurück, als die niederländische Plancius-Stiftung ins Leben gerufen wurde, die in Zusammenarbeit mit dem Arktiszentrum der Universität Groningen saisonale Kreuzfahrten zu einer ehemaligen niederländischen Walfangstation auf Spitzbergen organisierte. Das erste Schiff der Stiftung war die Plancius, ein 1950 als Pollux gebautes ehemaliges Lotsenschiff, das nur über Kabinen für eine Handvoll Passagiere verfügte. Die Fahrten der Plancius waren jedoch ein Erfolg, und die Stiftung weitete ihre Tätigkeit auf Kreuzfahrten zu den Kapverden, nach Südamerika und schließlich (1991) in die Antarktis aus. Ein größeres Schiff in Form des ehemaligen sowjetischen Forschungsschiffes Professor Molchanov ersetzte die Plancius 1993 zu einer Zeit, als der niederländische Geschäftsmann Wijnand van Gessel 1993 den Schoner Rembrandt Van Rijn unter dem Banner seiner neugegründeten Firma “Oceanwide Expeditions” für Segelkreuzfahrten nach Spitzbergen einsetzte.
1996 übernahm Oceanwide Expeditions die Aktivitäten und viele Mitarbeiter der Plancius-Stiftung und begann, seine Flotte und das Angebot an Kreuzfahrten zu erweitern. Ein ehemaliges niederländisches Forschungsschiff wurde 2009 zur neuen Plancius, während ein weiteres ehemaliges sowjetisches Forschungsschiff, die Marina Svetaeva, 2011 als Ortelius in die Flotte eingegliedert wurde. Im selben Jahr unternahm ein weiteres Segelschiff, die Noorderlicht, Segel-Kreuzfahrten in Spitzbergen. Der erste Neubau von Oceanwide Epeditions, die Hondius, wurde 2016 für einen Baupreis von 85 Millionen US-Dollar bestellt und 2019 in Dienst gestellt, ein Schwesterschiff wurde später ebenfalls geordert. Im Familienbesitz ist die Firma unterdessen noch immer – und Wijnand van Gessel mit seinen 77 Jahren noch immer der erste, der morgens um 6 Uhr die Türen zum Oceanwide-Hauptsitz aufschließt, um in seinem Unternehmen nach dem Rechten zu sehen. Auch lässt er es sich an diesem Juni-Abend nicht nehmen, persönlich zum Kai in Vlissingen zu kommen, um mitanzusehen, wie sein Schiff und seine Mitarbeiter in eine weitere Saison starten und damit sein Lebenswerk fortführen.
Abreise
An Bord der Hondius teile ich mir eine Vierbettkabine mit drei anderen Männern – Gunter aus Helgoland, Carl aus Belgien und Leon aus den Niederlanden. Da viele Reisende die Oceanwide-Reisen wegen der Tierwelt und der Landschaft unternehmen, sind sie aufgeschlossen genug, ihre Kabine mit anderen zu teilen; das entlastet nicht nur das Budget, sondern führt auch (hoffentlich) zu neuen Freundschaften mit gleich gelagerten Interessen. Am anderen Ende der Skala besitzt die Hondius außer Standard-Außenkabinen für zwei Personen auch luxuriöse Suiten – eine Maßnahme, mit der die Reederei bei der Bestellung des Schiffes auf eine entsprechende Nachfrage reagiert hat.
Innenkabinen gibt es dagegen keine an Bord. Unbürokratisch teilen wir die oberen Betten den beiden jüngeren unter uns zu, dann wird das Gepäck unter den Betten und in den Schubladen verstaut. An meinem Oberbett entdecke ich leider keine Ablage für Brille, Armbanduhr und Handy, ansonsten lässt Kabine Nr. 307 keine Wünsche offen.
Noch bevor die Hondius in Vlissingen ablegt, steht in der Observation Lounge die obligatorische Sicherheitsübung auf dem Programm, bei der ein recht explizites, aber dennoch witzig gemachtes Sicherheitsvideo gezeigt wird, das keine Fragen offenlässt. Danach gibt es noch eine Einweisung an der Muster Station selber, bei der die Sicherheitsoffiziere den Passagieren sogar die Gelegenheit geben, einen Blick in eins der Rettungsboote zu werfen. So viel Transparenz ist selten.
Da zur selben Zeit aber noch immer keine Zollbeamten in Sicht sind, beginnt die Crew schon einmal mit dem Kreuzfahrtprogramm. Punkt 1: die Vorstellung des Expeditionsteams. 13 „Guides“ begleiten die Hondius in die Arktis, darunter professionelle Meeresbiologen, Ornithologen und Glaziologen. Geleitet wird das Expeditionsteam von Sara Jenner, die auch gleich zu Beginn klarstellt: “Es gibt einen Grund, warum wir nicht Oceanwide Cruises heißen”. Denn die anstehende Fahrt nach Jan Mayen, Spitzbergen und an die arktische Eisgrenze habe wie jede andere Oceanwide-Reise Expeditionscharakter. Seegang, Wetter und Eisbedingungen können sich jenseits des Polarkreises von einer Minute auf die andere ändern, weshalb das Tagesprogramm, das in den Gängen aushängt, auch nur eine Art Plan A ist. “Wenn Sie das Programm lesen, das an Bord aushängt, arbeiten wir hinter den Kulissen höchstwahrscheinlich schon an Plan B und C”, erklärt Sara weiter.
Landschaft und Wildtierbeobachtungen haben immer Vorrang, weshalb auf der Hondius sogar die Essenszeiten kurzfristigen Änderungen unterliegen können. Außerdem seien alle daran erinnert, ihre Kamera und ihr Fernglas jederzeit griffbereit zu haben – schließlich „kann immer etwas passieren“. Auch werden die Gäste aufgefordert, ihre Stimme zu senken, wenn öffentliche Durchsagen gemacht werden, da diese wahrscheinlich nicht wiederholt werden. Und schließlich sollte man auch das Thema Schlaf nicht überbewerten, denn die Aktivitäten an Bord und außerhalb des Schiffes finden dann statt, wenn es die Situation zulässt, und nicht, wenn alle satt und geduscht sind und ausgeschlafen haben, erläutert sie mit einem Augenzwinkern.
Ernster wird sie dagegen beim Thema Sicherheit, als sie die Passagiere ermahnt: “Ich möchte nach Aberdeen keine Flip-Flops mehr an Bord sehen!” Da es in der Arktis und Antarktis keine Krankenhäuser oder Evakuierungseinrichtungen gibt, ist es von größter Wichtigkeit, dass alle an Bord auf sich selbst und aufeinander aufpassen, um eine sichere und angenehme Reise für alle zu gewährleisten. “Wir werden bald eine Familie sein”, fügt sie mit Blick auf die geringe Anzahl Gäste sowie die überschaubare Größe der Hondius hinzu.
Später am Abend treffen die niederländischen Beamten doch endlich noch ein und erteilen der Hondius die Freigabe für die Abfahrt. 20 Uhr ist es, als wir Vlissingen im Sonnenuntergang verlassen, wo uns die Besatzung der Ortelius im Dock nebenan zuwinkt, deren Start in die Saison erst in ein paar Tagen beginnt. Viele Passagiere verzichten sogar auf das erste Abendessen an Bord, um stattdessen Fotos der Seevögel zu machen, die auf den Sandbänken der Schelde-Mündung zu beobachten sind. Nur Seehunde sind fürs erste nirgends zu sehen; die ruhen sich lieber auf den Sandbänken außerhalb des Hafens aus, wo es weniger Lärm und Schiffsverkehr gibt.
An Bord
Ein erster Rundgang über die Decks offenbart ein Passagierschiff, das sich nicht nur von den meisten “Mainstream”-Kreuzfahrtschiffen unterscheidet, sondern auch von seinen Verwandten unter den Expeditionskreuzfahrtschiffen. So hat sich Oceanwide Expeditions bei der Konzeption der Hondius auf die Elemente konzentriert, die für den Expeditionsbetrieb besonders wichtig sind und solche weggelassen, die vom Hauptaugenmerk der Reise ablenken könnten. So gibt es keinen Swimmingpool an Bord, keinerlei Wellness-Einrichtungen, kein Casino und auch keine Disco. In den Kabinenkorridoren und Treppenhäusern hängen nicht einmal Bilder (was dann doch ein bisschen schade ist). Dafür verfügt das Schiff über eine hervorragend ausgestattete Bibliothek, die mit reihenweise Bestimmungsbüchern, Bildbänden und Sachbüchern aller Art rund um das Thema Polargebiete bestückt ist.
Die Bibliothek befindet sich auf Deck 5, dem Expeditionsdeck des Schiffes. In dessen vorderem Teil ist auch die große Observation Lounge gelegen, die zu beiden Seiten mit bequemen Sesseln und Sofas und in der Mitte mit praktischen gepolsterten Bänken ausgestattet ist, deren Rückenlehnen sich umklappen lassen – je nachdem, wo im Raum jemand gerade etwas zu sagen hat. In der Observation Lounge gibt es ferner eine Bar und eine Selbstbedienungsstation, an der tags wie nachts Tee, Kaffee und Gebäck verfügbar sind. Weiter achtern auf dem Deck befindet sich der Vortragsraum des Schiffes, der für die täglichen “Recaps”, aber auch für allgemeine Präsentationen oder Lesungen genutzt wird.
Ein Deck tiefer (Deck 4) befinden sich das Restaurant, die Rezeption und ein kleiner Shop. Auch gibt es hier (ebenso wie auf Deck 3) Nachfüllstationen für Trinkwasser – eine Maßnahme von Oceanwide Expeditions, um die Menge an Einwegplastik an Bord zu reduzieren. An der Rezeption dagegen werden Postkarten gratis angeboten – eine nette, wenn auch etwas eigenwillige Geste. Schließlich ist die Anzahl öffentlicher Briefkästen in der Arktis und Antarktis begrenzt.
Die 80 Kabinen für die maximal 176 Passagiere an Bord verteilen sich über die Decks 3, 4, 6 und 7, was insofern merkwürdig anmutet, da man auf einem Schiff wie diesem normalerweise die Observation Lounge auf dem höchstgelegenen Deck erwarten würde, schließlich hat man dort die beste Sicht. Oceanwide Expeditions hat sich jedoch dazu entschieden, stattdessen den Luxussuiten den besten Platz an Bord einzuräumen – jenen Bereich auf Deck 7, der direkt hinter der Kommandobrücke gelegen ist.
Bei der Expeditionsausrüstung selber ging Oceanwide jedoch keine Kompromisse ein. Eine Flotte von 13 Zodiacs ist auf dem Achterdeck des Schiffes und 28 Kajaks auf dem Bootsdeck der HONDIUS verstaut; zwei mobile Gangways wiederum sind während der Fahrt an jeder Seite des Schiffes angebracht. Der größte Vorteil der HONDIUS gegenüber ihren Flottenkollegen ist jedoch eine Stahltür im Schiffsrumpf, die ein schnelles Ausschiffen ermöglicht – sei es über eine schwimmende Plattform in die bereits erwähnten Zodiacs oder Kajaks oder direkt auf das Polareis. Außerdem dienen Kräne auf dem Vorder- und Achterdeck dazu, die Expeditionsausrüstung in kurzer Zeit ins Meer und wieder heraus zu heben, so dass die Passagiere möglichst viel Zeit außerhalb des “Mutterschiffs” verbringen können.
Hinter den Kulissen ist die Hondius mit einem herkömmlichen Dieselmotor ausgestattet. Auf diese Weise erspart man sich in abgelegenen Gewässern unliebsamen Ärger mit unerprobten Technologien. Auch das Manövrieren erfolgt über Bug- und Heckstrahlruder anstatt unter Zuhilfenahme von Pods. Mit einer Gesamtleistung von 4.200 kW und einer Höchstgeschwindigkeit von 15 Knoten ist die Hondius weder ein Kraftprotz noch ein Flitzer, ihr vergleichsweise geringer Tiefgang von nur 5,30 m erlaubt es ihr aber, in Buchten und Häfen einzufahren, die anderen Schiffen verschlossen bleiben. Ihre Polarklasse ist PC6, was es der Hondius ermöglicht, im Sommer und Herbst in mittelstarkem, einjährigem Eis zu fahren. Damit spielt sie in derselben Liga wie die Hanseatic Nature von Hapag-Lloyd Cruises, die Viking Octantis von Viking Ocean Cruises und die Ultramarine von Quark Expeditions. Ein Eisbrecher ist die Hondius allerdings nicht; sie fährt an die Eisgrenze heran und mitunter auch durch das Treibeis, kann aber im Gegensatz z. B. zur Le Commandant Charcot von Ponant Cruises nicht durch festes Packeis zum geographischen Nordpol vordringen.
Die Oceanwide-Philosophie
In Anbetracht der „Hardware“ in Form der HONDIUS selber und vor dem Hintergrund der Unternehmenshistorie ist die Philosophie von Oceanwide Expeditions einfach: Während das Schiff selbst modern und komfortabel ist, sollen die Passagiere dazu ermutigt werden, so wenig Zeit wie möglich an Bord zu verbringen und stattdessen das Beste aus ihrer Zeit außerhalb der Hondius zu machen – sei es beim Wandern, Klettern, Tauchen, Kajakfahren oder bei der Entdeckung der Eiswelt in den Zodiacs. Daher läuft das Schiff “normale” Häfen auch fast nur zum Ein- und Ausschiffen an und steuert ansonsten direkt jene Orte und Ziele an, die von besonderem ökologischem, maritimem oder historischem Interesse sind.
Bei den Ausflügen unterscheidet Oceanwide zwischen Basislager-Aktivitäten wie Landgängen oder Zodiac-Touren, die im Preis inbegriffen sind, und speziellen Aktivitäten wie Polartauchen oder längeren Wanderungen und Klettertouren, für die ein Aufpreis zu entrichten ist und für die manchmal auch eigene Ausrüstung mitgebracht werden muss. Bei Landgängen an Orten, wo es wie in der Antarktis eine Obergrenze für die Anzahl Passagiere gibt, die gleichzeitig an Land sein dürfen, werden die Gäste in verschiedene Gruppen aufgeteilt, damit alle über den Tag verteilt an den gleichen Aktivitäten teilnehmen können.
Wenn Zodiac-Ausflüge oder andere Außenaktivitäten aufgrund von schlechtem Wetter nicht durchgeführt werden können, verfolgt Oceanwide Expeditions eine Politik der offenen Brücke und der offenen Decks. Auf diese Weise können die Passagiere trotz See- oder Eisgangs so viel wie möglich von Bord aus sehen und erleben – sei es aus der Sicht des Kapitäns auf der Brücke oder von jenen Bereichen der offenen Decks wie dem Vorschiff, zu denen sonst nur die Besatzung Zutritt hat.
Bordalltag
Sonntagmorgen, der zweite Tag der Kreuzfahrt, irgendwo auf der Nordsee. Normalerweise eine willkommene Gelegenheit für die Passagiere, sich von dem zurückliegenden anstrengenden Anreise- und Einschiffungstag zu erholen, spät aufzustehen, gemütlich zu frühstücken und dann zu sehen, was der Tag so bringt. Nicht so an Bord der Hondius.
Um 6 Uhr morgens steht mein Kabinennachbar Carl bereits seit einer Stunde auf dem Vordeck, um nach Seevögeln Ausschau zu halten. Und eine ganze Reihe anderer „Birder“ auch. Für das ungeschulte Auge sind zwar Ölplattformen, Windparks und Offshore-Versorgungsschiffe die einzigen sehenswerten Dinge weit und breit, aber das ist natürlich nur das, was man ohne entsprechende Ausrüstung sehen kann. Die Liste der Vogelsichtungen, die an der Wand neben dem Vortragsraum aushängt, weist jedenfalls bereits die ersten Kreuze und Haken auf und enthält sogar einige seltene Arten. Das frühe Aufstehen muss sich also gelohnt haben. Dasselbe gilt für die Bordbibliothek, wo man sich allerdings nicht allzu sehr in die Lektüre vertiefen sollte, da man sonst Gefahr läuft, das Frühstück oder die ersten Aktivitäten des Tages zu verpassen. (Ich selber habe leider genau diesen Fehler begangen und mich prompt mit dem “Franklin-Fieber” infiziert, nachdem ich ein Buch über die Entdeckung von Franklins Schiff, der EREBUS, im Jahr 2014 in die Hand genommen hatte.)
Nach dem Frühstück sind die Passagiere gruppenweise eingeladen, die Kommandobrücke zu besuchen, wo Kapitän Toni Salo Fragen zu seinem Schiff und dessen Betrieb beantwortet. Der gebürtige Finne, der früher u. a. auf der Ostseefähre SILJA SERENADE gefahren ist, kommandiert die Hondius während eines Großteils ihrer Arktis-Saison, während sein chilenischer Kollege ab Oktober den Dienst in der Antarktis übernimmt. Salos Lieblingsrevier ist die einsame Eisküste Grönlands, die wiederzusehen er sich schon sehr freut. Gleichzeitig betont er aber, dass die Sicherheit von Schiff, Passagieren und Besatzung immer an erster Stelle stehe – egal wie einladend eine Landschaft auch aussehen möge. Dies führt u. a. dazu, dass oft ein Zodiac als Vorhut ein Zielgebiet und dessen Eis- und Wetterbedingungen erkundet, lange bevor die Hondius selbst in eine abgelegene Bucht oder einen Fjord einfährt. Und obwohl der Großteil der Navigation heutzutage auf elektronischen Seekarten beruht, führt die Hondius immer noch einen Satz gedruckter Seekarten für die Polarregionen mit sich – nur für alle Fälle. Denn manchmal kommt das Abenteuer ganz unverhofft. So z. B. in Aberdeen im letzten Jahr, als es um dieselbe Jahreszeit wie jetzt so neblig war, dass selbst dieser an sich sichere Hafen nicht angelaufen werden konnte und die Passagiere stattdessen mit Zodiacs und Tenderbooten an Land gebracht werden mussten. Ein unerwartet früher Start zu einer Expeditionskreuzfahrt, die eigentlich erst viel weiter nördlich abenteuerlich werden sollte!
Diejenigen Passagiere, die erst später am Tag an der Brückenbesichtigung teilnehmen, haben in der Zwischenzeit einen Termin auf Deck 3. Dort steht für sie die Anprobe von Gummistiefeln und anderer Expeditionskleidung auf dem Programm, die zum Einsatz kommen wird, sobald die Hondius höhere Breitengrade erreicht hat. Neben einer stabilen Gesundheit ist eine gute Expeditionskleidung und -ausrüstung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Expeditionskreuzfahrt, wie bei einem Briefing für Expedienten und Pressevertreter am Nachmittag erklärt wird. “So schön es an Bord auch sein mag, für uns ist es wichtig, die Leute vom Schiff runter zu bekommen”, erklärt Adam Turner, Chief Field Operations Manager bei Oceanwide Expeditions. Nichtsdestotrotz werden Aktivitäten wie Landgänge oder Wanderungen natürlich in verschiedenen Schwierigkeitsstufen angeboten – leicht, mittelschwer und anspruchsvoll. Einige Aktivitäten können sogar kurzfristig ins Programm genommen werden, wenn das Wetter dies zulässt. Dies ist laut Oceanwide einer der Vorteile eines Familienunternehmens wie dem ihren, bei dem alle an Bord an einem Strang ziehen.
Ansonsten vergeht der Seetag auf der Hondius auch ganz ohne Außenaktivität wie im Flug. “Bill begrüßt Sie zu einem Vortrag mit dem Titel ‘Ein Vorgeschmack auf Schottland'” (10:30 Uhr), “Andrew lädt Sie zu einer Präsentation über die Seevögel der Nordsee ein” (15:30 Uhr) und “Anthonie lädt Sie zu einer Präsentation über die Doggerbank ein” (17:30 Uhr) sind nur drei Programmpunkte, die jeden an Bord auf Trab halten. Wenn sie nicht gerade an Deck Vögel beobachten.
Chancen und Herausforderungen
Zwischen den Vorträgen von Bill, Andrew und Anthonie berichtet Sara Jenner von ihren Erfahrungen im Expeditionskreuzfahrtbetrieb und darüber, was Gäste erwarten können, die eine Expedition auf einem der Oceanwide-Schiffe buchen. Stolz erzählt sie, dass diese jederzeit dazu in der Lage seien, auf Routen zu fahren und zu Zielen vorzustoßen, die anderen verwehrt sind. Und dass auf allen anderen das Oceanwide-Expeditionsteam nach jahrelanger Erfahrung fast jeden Fuchsbau, sämtliche Lieblingssandbänke der Walrosse und die bevorzugten Futterplätze der großen Wale auswendig kenne. Begeistert verweist sie auch auf die Tatsache, dass sich der Tierbestand in den Polargebieten trotz der ständig steigenden Zahl von Kreuzfahrtschiffen in den letzten Jahren so gut erholt hat, dass man die Ausschiffung von Passagieren an beliebten Stränden in letzter Zeit sogar habe abbrechen müssen, einfach weil zu viele Robben und Pinguine die Zodiacs am Anlanden gehindert haben! Die Expeditionsleiterin stellt auch die Vorteile der verschiedenen Oceanwide-Schiffe heraus.
So führt die robuste Ortelius einen eigenen Hubschrauber an Bord mit, während die Plancius wegen ihrer geringeren Kapazität von nur 100 Passagieren besonders beliebt sei. Die Hondius dagegen, das modernste und komfortabelste Schiff der Flotte, ermöglicht die meisten Ausflüge, da sie dank ihrer Türen im Schiffsrumpf alle 176 Passagiere innerhalb von nur etwas mehr als 30 Minuten ausschiffen kann.
Weitere Vorträge an diesem ereignisreichen Seetag werden vom F & B-Manager und vom Verkaufsdirektor gehalten. Ersterer berichtet, dass auch die Verpflegung an Bord in den letzten Jahren an Stellenwert gewonnen habe, da die Erwartungen diesbezüglich nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen im Allgemeinen, sondern auch auf Expeditionsschiffen gestiegen seien. Logistik und Versorgungsketten haben mit dieser Entwicklung jedoch mitunter nicht immer Schritt halten können, weshalb jedes Aufstocken der Vorräte nördlich von Tromsø oder südlich von Ushuaia noch immer eine Herausforderung darstelle. Vorräte, die für zwei Monate reichen sollen, müsse das F & B-Team z. B. im Juli bestellen, wenn sie im November an Bord genommen werden und bis Januar vorhalten sollen! Ein verspäteter Container oder ein ausgelassener Hafen kann da für die Besatzung und Passagiere an Bord gleichermaßen einen Alptraum bedeuten – und einen Speiseplan, der tagelange ohne bestimmte Zutaten oder Gewürze auskommen muss. Die Planung beginnt daher schon am Mittagstisch, wo sich die Passagiere auf ihr Gericht am Abend festlegen müssen. Dies nicht nur, um möglichst wenig Lebensmittel zu verschwenden, sondern auch um sparsam mit Zutaten umzugehen, die ansonsten früher ausgehen könnten, als allen an Bord lieb ist.
Florian Piper, Sales Director Arctic Program, beleuchtet anschließend Licht- und Schattenseiten der Vertriebs- und Marketingaktivitäten bei Oceanwide Expeditions. So bietet Oceanwide im Gegensatz zu den meisten Mitbewerbern die Möglichkeit an, einzelne Betten zu buchen und sich die Kabine dadurch mit Fremden zu teilen. Dies öffne nicht nur den Markt für Kunden, die sich eine solche Reise ansonsten nicht leisten könnten, sondern biete den Passagieren auch die Möglichkeit, gleichgesinnte Freunde für die Dauer der Kreuzfahrt und darüber hinaus zu finden. Piper beschreibt dieses Angebot als überaus beliebt, immerhin schlägt eine Einzelkabine ansonsten mit 70 % Single-Aufschlag zu Buche. So jedoch bleibt es bei einem Tagespreis von „nur“ 500 €. Eine relativ neue Herausforderung ist dagegen die Nichtverfügbarkeit von Flugverbindungen, sei es in der nördlichen oder in der südlichen Hemisphäre – ein Nach-Corona-Phänomen, mit dem jedoch auch andere Kreuzfahrtanbieter konfrontiert sind, die ihre Schiffe leicht füllen könnten, wenn ihre Passagiere sie nur erreichen würden.
Am Abend entsteht dann tatsächlich das von Sara Jenner eingangs erwähnte Familiengefühl, denn die Expedition Guides ziehen sich nach ihren Vorträgen nicht etwa in ihre Kabinen oder die Crew-Messe zurück, sondern mischen sich beim Essen im Restaurant unter die Passagiere. Und plötzlich vergisst man tatsächlich zu kauen, wenn man gleichzeitig Geschichten über Begegnungen mit Walrossen und Eisbären lauscht, von nächtlichem Proviant-Austausch zwischen befreundeten Expeditionsschiffen fernab des Landes erfährt und von Einladungen einheimischer Inuit-Familien, die darauf bestehen, dass man Robbenfleisch probierte – ein Angebot, das man selbst als Vegetarier schon deswegen nicht ablehnen könne, weil dies als grobe Beleidigung aufgefasst werden würde.
Der Seetag an Bord der Hondius endet um 20:45 Uhr mit dem ersten „Recap“, einer Rückschau auf das tagsüber Erlebte und Gesehene. So vergleichen die Wissenschaftler und Guides ihre eigenen Sichtungen mit denen der Passagiere, und bald schon werden die Namen von Vogelarten genannt, von denen die Laien unter den Passagieren noch nie etwas gehört haben. Ein paar glückliche Reisende haben heute sogar Robben, Delfine, Tümmler und Wale gesichtet und werfen ihre Fotos auf den Bildschirm des Expeditionsleiters. Zum Glück gibt es heute Bluetooth, Satelliten-Internet und Airdrop. Wie war das eigentlich in den 1970er Jahren, als die Expeditionskreuzfahrt noch in den Kinderschuhen steckte?
Aberdeen
Vogelbeobachter sind eine zähe Spezies. Als ich am nächsten Morgen um 6 Uhr aufstehe, sind diesmal nicht nur einer, sondern gleich alle drei meiner Kabinennachbarn bereits zur Vogelbeobachtung und -fotografie auf den Beinen! Noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff habe ich so viele Frühaufsteher unter den Passagieren auf einmal erlebt wie auf der Hondius. Ich versuche, ihre Begeisterung zu teilen, indem ich mich auf dem Vorschiff diskret unter sie mische, aber so intensiv ich auch in den Himmel starre, ist alles, was ich sehe, Möwen und kleine schwarze Punkte, die knapp über der Wasseroberfläche fliegen. Ganz zu schweigen von dem Zwergwal, den einige wenige Minuten zuvor im Wasser gesehen haben wollen. Man braucht tatsächlich viel Geduld und Ausdauer sowie ein geschultes Auge, um diese Art von Bord-Aktivität zu genießen.
Um 6:30 Uhr fährt die Nachtfähre von den Orkney- und Shetlandinseln vor der Hondius vorbei und läuft in den Hafen von Aberdeen ein. Eine halbe Stunde später ertönt der Weckruf auf dem Oceanwide-Schiff, aber da ohnehin alle seit Sonnenaufgang (oder früher) auf den Beinen sind, war eine solche Durchsage wohl noch nie so nutzlos. Leider fällt unsere eigene Ankunft an der Außenmole des Hafens von Aberdeen um 7:30 Uhr mit der Öffnung des Restaurants für das Frühstück zusammen, so dass diejenigen, die das Einlaufen verfolgen wollen, abermals eine Mahlzeit auslassen müssen. Dafür werden sie mit einer spektakulären Passage entlang der historischen Docks auf beiden Seiten des Flusses Dee belohnt, bevor eine noch engere zweite Dockeinfahrt die Hondius zwingt, um 180 Grad zu drehen und mit dem Heck voran in den Innenhafen einzufahren.
Die Vogelbeobachter und Naturliebhaber haben nun Gelegenheit, das Schiff zu verlassen und ihrer jeweiligen gebuchten Tagesaktivität nachzugehen. Am Kai haben sich bereits mehrere Busse versammelt, die die Hobby-Naturforscher zu Orten wie Newburgh-on-Ythan, dem Forvie National Nature Reserve und Bullers of Buchan bringen – allesamt bekannt für ihren Reichtum an Seevögeln.
Für mich bedeutet die Ausschiffung um 9 Uhr einen allzu frühen Abschied von der Hondius und ihrer fantastischen Besatzung, die ich beide in kürzester Zeit ins Herz geschlossen habe. Mit seinem Schwerpunkt auf Erkundung und Bildung kann der Oceanwide-Ansatz für Kreuzfahrten nur als reizvoll und bereichernd bezeichnet werden. Man bedenke, dass auf Schiffen wie der Wonder of the Seas mehr als 7.000 Passagiere mitfahren, von denen die meisten sich während der gesamten Reise nicht namentlich kennenlernen werden, es sei denn durch Zufall. Unter nur 180 Passagieren, die von 74 Besatzungsmitgliedern betreut werden, fühlt man sich an Bord der Hondius dagegen sofort und dauerhaft wie in einer großen, gleichgesinnten Familie, die sich auf ein gemeinsames Abenteuer begibt. In Anbetracht dessen, was auf dieser Reise noch vor mir gelegen hätte, tut es mir daher umso mehr leid, die Hondius vorzeitig zu verlassen.
Doch immerhin habe ich kurz vor der Ausschiffung noch mein “Zertifikat für Polarexpertise” erhalten, handgeschrieben von Bill, unterschrieben von Sara und gestempelt mit dem “Seal of Approval” – dem Foto eines antarktischen Seebären, das mich daran erinnert, so bald wie möglich auf eines der Oceanwide-Schiffe zurückzukehren.
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