Von der Stockholm zur Astoria: 76 Jahre Geschichte


„Alles klar auf der Andrea Doria“ sang der deutsche Rocksänger Udo Lindenberg 1974, und die Liedzeile wurde in dieser Zeit in Deutschland zu einem geflügelten Wort, wenn man sich flapsig nach dem Befinden einer Person erkundigen wollte. Der Untergang der Andrea Doria am 26. Juli 1956 wird zuweilen mit der Titanic-Katastrophe verglichen, auch wenn weitaus weniger Menschen starben, auch dank einer schnell eingeleiteten Rettungsaktion. Doch was war überhaupt geschehen, und warum geht es in diesem Artikel eigentlich gar nicht in erster Linie um die Andrea Doria?

1951 für die Italia – Società di Navigazione, international besser bekannt als Italian Line, vom Stapel gelaufen, galt die 213,8 Meter lange und mit 29.083 BRT vermessene Andrea Doria nicht nur als herausragendes Beispiel italienischer Schiffbaukunst, sondern auch als der größte, schnellste und auch vermeintlich sicherste italienische Ozeanliner seiner Zeit – eine Anknüpfung an große Vorkriegsschiffe wie die Conte di Savoia oder die REX. Am 17. Juli 1956 brach das nach Admiral Andrea Doria (1466-1560) benannte Schiff von Genua aus zu seiner 51. westwärts gehenden Atlantiküberquerung nach New York auf. An Bord befanden sich 1.134 Passagiere und 572 Besatzungsmitglieder. Am späten Abend des 25. Juli 1956 kollidierte im dichten Nebel vor der Küste Nantuckets der schwedische Ozeanliner Stockholm mit der Andrea Doria. Zwar verfügten beide Schiffe über Radar, doch führten ihre Bemühungen, dem jeweils anderen Liner auszuweichen, dazu, dass sie sich auf Kollisionskurs begaben. Der Versuch beider Brückenbesatzungen, den Zusammenstoß durch Manöver des letzten Augenblicks doch noch zu vermeiden, blieb erfolglos und beide Schiffe stießen in einem nahezu 90-Grad-Winkel zusammen, wobei der eisverstärkte Bug der Stockholm die Steuerbordseite der Andrea Doria etwa mittschiffs traf bis zu 12 Meter tief aufschnitt. Das italienische Schiff, das entgegen dem Mythos der besonderen Sicherheit über recht schlechte Krängungseigenschaften verfügte, nahm schnell Wasser auf. Bei der Kollision starben 46 Menschen, viele von ihnen schlafend in ihren Kabinen auf der Andrea Doria, als der Bug der Stockholm das Schiff traf. Fünf Besatzungsmitglieder des schwedischen Schiffs kamen bei der Kollision ums Leben. Obwohl die Rettungsboote der Andrea Doria auf der Backbordseite angesichts der starken Krängung nicht vom Promenadendeck aus bestiegen werden konnten, sondern zunächst leer zu Wasser gelassen werden mussten, überlebten 1.660 Menschen an Bord das Unglück. Neben der im Bugbereich schwer beschädigten, aber weiterhin schwimm- und manövrierfähigen Stockholm beteiligten sich weitere Schiffe an der Rettungsaktion, unter anderem auch die legendäre Île de France der Compagnie Générale Transatlantique, auch bekannt als French Line. Elf Stunden nach der Kollision sank die Andrea Doria. Die Bugspitze der Stockholm war bei der Kollision abgerissen worden und versank im Atlantik – mit ihr die Schiffsglocke, die später geborgen wurde und seit 2015 wieder an Bord ausgestellt ist.

Die Stockholm wurde 1944 von den Svenska Amerika Linien (Swedish American Line) bei den Götaverken in Göteborg, Schweden, für den Transatlantikdienst bestellt. Das funktionale Schiff konnte lediglich 395 Passagiere in zwei Klassen beherbergen und war bei einer Länge von 160,1 Metern mit 12.165 BRT vermessen. Am 21. Februar 1948 brach die Stockholm von Göteborg aus zu ihrer ersten Atlantiküberquerung auf, die am 1. März 1948 in New York endete. Fünf Jahre nach Indienststellung wurde die Passagierkapazität auf 548 Personen erhöht, indem zusätzliche Kabinen auf dem A-Deck entstanden. Seit 1952 befuhr die Stockholm die Nordatlantikroute gemeinsam mit der größeren, deutlich schnelleren Kungsholm, und nachdem Svenska Amerika Linien zur Ablieferung 1957 in Italien die Gripsholm bestellt hatte, war klar, dass die Tage der Stockholm im Liniendienst gezählt waren. Nach dem Unglück mit der Andrea Doria war das Schiff zunächst bei der Bethlehem Shipyard in New York instandgesetzt worden. 1959 wurde die Stockholm dann mit Übergabe im folgenden Jahr an einen zunächst nicht genannten deutschen Käufer veräußert.

Am 3. Januar 1960 übernahm die Deutsche Demokratische Republik (DDR) das Schiff und benannte es in Völkerfreundschaft um. Es sollte zukünftig staatlich subventionierte Urlaubsreisen für „verdiente Werktätige“ im Rahmen des Feriendienstes des Freien Deutschen Gewerkschafsbundes (FDGB) durchführen. Das Konzept ähnelte dabei dem der „Kraft durch Freude“-Reisen zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, auch wenn die DDR einen solchen Vergleich sicher weit von sich gewiesen hätte. Das vormalige Zwei-Klassen-Schiff konnte nunmehr 568 Passagiere in einer Klasse beherbergen. Mit der Völkerfreundschaft und dem Neubau Fritz Heckert, der 1961 in Wismar entstand, erweiterte der FDGB-Feriendienst sein Angebot über Ferienheime, Campingplätze und andere Einrichtungen hinaus. Neben Kreuzfahrten, auf denen sozialistische Bruderländer angelaufen wurden, dienten die Schiffe jedoch auch als Devisenbeschaffer und wurden – wie auch zahlreiche sowjetische Passagierschiffe – für Charterreisen westlicher Veranstalter eingesetzt. An Bord befanden sich stets Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit, des berüchtigten Geheimdienstes der DDR. Dennoch gelang im April 1968 einem Passagier die Flucht in den Westen, indem er auf einer Ostseereise von Bord sprang und von einem im Vorfeld durch Kontakte alarmierten Kriegsschiff der Bundesrepublik Deutschland gerettet zu werden. Nach Außerdienststellung der Fritz Heckert nach nur elf Jahren verblieb die Völkerfreundschaft als einziges DDR-Urlaubsschiff, bis die DDR 1985 die wenige Jahre alte ASTOR, bekannt aus der bundesdeutschen Fernsehserie „Das Traumschiff“, von ihren südafrikanischen Eignern übernahm und sie in Arkona umbenannte.

Im selben Jahr wurde die Völkerfreundschaft an die Neptunus Rex Enterprise verkauft und in Volker umbenannt und aufgelegt. Im folgenden Jahr erfolgte die Umbenennung in Fridtjof Nansen und der Einsatz als Unterkunft für Asylbewerber im Hafen der norwegischen Hauptstadt Oslo. Doch was wie die letzte Station in einem schon damals fast 40-jährigen Schiffsleben klingen mag, war alles, nur nicht das Ende der ehemaligen Stockholm. Die Reederei StarLauro erwarb das Schiff 1989, um es ab 1992 unter Federführung des Architekten Giuseppe de Jorio zu einem modernen Kreuzfahrtschiff umzubauen. Es ist Ironie des Schicksals, dass das Schiff, das 1956 den Stolz der italienischen Handelsflotte versenkte, nun – Jahrzehnte später – zu einem eleganten italienischen Passagierschiff werden sollte. Der Umbau passte in die Zeit, in der solcherlei Großumbauten bestehender Schiffe in Italien und Griechenland nicht unüblich waren. Man erinnere sich an die Entstehung der Costa-Kreuzfahrtschiffe Costa Marina und Costa Allegra aus jahrzehntealten Containerschiffen, den Umbau der Fähre SUN FIESTA zur Regent Jewel/Calypso in Griechenland oder die Fertigstellung des geplanten russischen Satellitenverfolgungsschiffs Akademik Nikolay Pilyugin als Luxuskreuzfahrtschiff Seven Seas Navigator.

Schon bei ihrem Bau zeichnete sich die Stockholm durch elegante, yachtähnliche Linien aus, die sie von vielen Transatlantiklinern ihrer Zeit deutlich abhoben. Die Svenska Amerika Linien hatten sich nach zähem Ringen innerhalb des Unternehmensvorstands darauf geeinigt, ein funktionales, wenig glamouröses Schiff mit modernem Dieselantrieb und vergleichsweise niedriger Dienstgeschwindigkeit zu bauen. Beim Umbau in Genua blieb davon lediglich der Rumpf erhalten, der zudem entkernt wurde – mitsamt der beiden 8-Zylinder-Hauptmaschinen aus der Produktion der Bauwerft. Stattdessen erhielt das Schiff zwei Wärtsilä 16V32 Dieselmotoren. Die neugestalteten Aufbauten verliehen dem Schiff, das mit Ausnahme der zuvor erwähnten Verlängerung des A-Decks noch weitgehend wie bei Indienststellung ausgesehen hatte, eine vollkommen veränderte Silhouette. Diese wirkte kantiger und moderner, fügte sich mit dem geschwungenen Rumpf jedoch zu einem hübschen Gesamtbild zusammen – wenn, ja wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, am Heck aus Stabilisierungsgründen einen ausgesprochen hässlichen Auftriebskörper („Ducktail“) zu montieren.

Die hochwertige Inneneinrichtung vereinte italienischen Marmor, Chrome und spiegelnde Flächen zu einem für die Zeit typischen, eleganten Erscheinungsbild, das die räumliche Beschränktheit des kleinen Schiffs bestmöglich ausnutzte und – etwa im zweigeschossigen Foyer mit seinen geschwungenen Treppen – durchaus Großzügigkeit andeutete. Apropos: Großzügig kamen die neu gestalteten Kabinen daher, insbesondere auch deren Badezimmer. Neben dem Hauptrestaurant verfügte das 1993 zunächst in Italia I, zur Indienststellung im folgenden Jahr dann in Italia Prima umbenannte Schiff auch über ein Buffetrestaurant, eine Showlounge, ein Auditorium, einen Nachtclub sowie mehrere Bars. Typisch für ein italienisches Schiff war das Vorhandensein einer kleinen Kapelle. Natürlich zählten auch Kasino, Bibliothek, Kartenspielzimmer, ein Shop sowie Fitnessbereich und Schönheitssalon zur Ausstattung.

Unter Bereederung durch NINA Spa. kam die Italia Prima am 31. Oktober 1994 in Fahrt, im folgenden Jahr sicherte sich der deutsche Reiseveranstalter Neckermann Seereisen das Schiff im Rahmen einer für fünf Jahre geplanten Charter. Allerdings löste Neckermann die Charter bereits Anfang 1998 auf, woraufhin die Italia Prima zunächst in Genua aufgelegt wurde, um danach als Wohnschiff während der Expo 98 in Lissabon zu dienen. Im September 1998 begann dann eine geplante Fünfjahrescharter für Valtur Tourist, die Karibikkreuzfahrten ab Kuba anboten. Die Vermarktung in Deutschland des nun Valtur Prima genannten Schiffs erfolgte durch Air-Maritime Seereisen. Nach der Insolvenz von Valtur 2001 blieb das Schiff in Havanna aufgelegt und wurde im Folgejahr von Festival Cruises erworben, um als Caribe weiterhin Kuba-Kreuzfahrten durchzuführen. Nach dem Kollaps von Festival Cruises 2004 kaufte George P. Potamianos das Schiff für seine Reederei Classic International Cruises (CIC). Nach Renovierungsarbeiten kam die ehemalige Stockholm 2005 als Athena wieder in Fahrt. CIC setzte das Schiff nicht nur selbst ein, sondern vercharterte es auch an andere Veranstalter. So feierte die Athena 2007 ihr Comeback auf dem deutschen Markt, als sie für Vivamare Urlaubsreisen eingesetzt wurde. 2009 sprang sie für fünf Monate als Ersatz für die Alexander Von Humboldt bei Phoenix Reisen ein. George P. Potamianos starb im Frühling 2012 und musste damit den Kollaps von Classic International Cruises im Herbst desselben Jahres nicht mehr miterleben.

Die neugegründete Reederei Portuscale Cruises des Geschäftsmanns Rui Alegre übernahm die vier aufliegenden CIC-Schiffe 2013, woraufhin die Athena in AZORES umbenannt wurde. Kurioserweise wurde seitens Portuscale Cruises oftmals die Schreibweise „Acores“ verwendet, obwohl der Schiffsname offiziell mit Z geschrieben wurde. 2014 fuhr die Azores abermals auf dem deutschen Markt, diesmal für Ambiente Kreuzfahrten, einen mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) verbundenen Reiseveranstalter. 2015 charterte dann der britische Veranstalter Cruise & Maritime Voyages (CMV) das Schiff, ab 2016 unter dem Namen Astoria . Zeitweise war es auch für den französischen Veranstalter Rivages du Monde im Einsatz. 2020 sollte dann die letzte Saison der Astoria bei Cruise & Maritime Voyages sein, doch die COVID-19-Pandemie setzte dieser ein frühes Ende. CMV überlebte die Pandemie nicht, ebenso wenig der Eigner Portuscale Cruises. Im Dezember 2020 wurde die Astoria nach Rotterdam geschleppt, wo sie bis heute beschäftigungslos aufliegt. Im Juli 2021 erwarb The Roundtable LLC, ein Unternehmen des US-Kryptomilliardärs Brock Pierce, das Schiff mit dem Ziel, es wieder in Fahrt zu bringen. Seitdem passierte wenig. Im November 2023 veröffentlichte der niederländische Abenteurer Bob Thissen, der für seine Videos sogenannter „Lost Places“ bekannt ist, auf seinem YouTube-Kanal einen illegal entstandenen Videorundgang über das verlassen, teilweise verfallen und verschimmelt wirkende Schiff.

Bleibt für die ehemalige Stockholm ein anderer Ausweg als die baldige Verschrottung, oder nimmt die nunmehr beinahe 77-jährige Geschichte des Schiffs ein zeitnahes Ende? Die Zukunft wird es zeigen. Angemerkt sei noch, dass die Astoria oftmals als ältestes „aktives“ Hochsee-Kreuzfahrtschiff der Welt bezeichnet wird. Selbst als sie noch aktiv war, stimmte dies nur, wenn man den Großsegler Sea Cloud, 1931 als Privatyacht gebaut und seit 1978 Kreuzfahrtschiff, außen vor lässt. Dennoch ist die ehemalige Stockholm einer der letzten verbliebenen Ozeanliner, auch wenn sie heute wenig mit dem Rumpf gemeinsam hat, der am 9. September 1946 in Göteborg vom Stapel lief.

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Raoul Fiebig

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