Viking Glory: die Kreuzfahrtfähre für das 21. Jahrhundert


Die großen Nachtfähren der Ostsee bedienen höchste Ansprüche und machen so manche Überfahrt zur Mini-Kreuzfahrt. Die Viking Glory der Viking Line ist die größte und modernste unter ihnen.

Ihre Reederei nennt sie „eines der klimafreundlichsten Schiffe der Welt“ und verspricht „ein Erlebnis von Weltklasse“, für die Fachpresse ist sie „die ultimative Kreuzfahrtfähre“ (ShipPax) bzw. „ein Fährschiff, das staunen lässt“ (Ferries). Die Rede ist von der Viking Glory, der größten und vielleicht spannendsten Fähre in der nördlichen Ostsee. Die Erwartungen waren also hoch, als ich im Juli 2024 in Stockholm an Bord des neuen Viking Line-Flaggschiffes ging.

Die äußerlichen Voraussetzungen sind schon einmal günstig: Es ist ein herrlich sonniger Juli-Abend, den ich mir für meine Nachtfahrt von Stockholm nach Turku ausgesucht habe. Die Viking Glory biegt pünktlich um die Ecke und hat ihre rollende bzw. zweibeinige Fracht schnell entladen, als es um 19:30 Uhr im „Vikingterminalen“ im Stockholmer Stadtteil Stadsgården an Bord geht. Der Fahrplan ist dabei seit ziemlich genau 50 Jahren derselbe: Jeden Abend und jeden Morgen legt eine Fähre der Viking Line in der schwedischen Hauptstadt bzw. im finnischen Turku ab, auf diese Weise kann die Reederei Tages- wie Nachtabfahrten ab beiden Häfen anbieten. Auf halber Strecke wird jeweils ein Zwischenstopp auf den Åland-Inseln eingelegt.

Der Autor dieser Zeilen ist auf besagter Route schon mit den Vorgängerfähren Kalypso (1993), Amorella (2006) und Isabella (2009) unterwegs gewesen, jedes Mal ist die Überfahrt auch eine kleine Kreuzfahrt gewesen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, denn der Fahrplan ermöglicht 11stündige „Picknick“-Kreuzfahrten (Stockholm – Mariehamn – Stockholm mit Schiffswechsel) genauso wie 22stündige Rundreisen (Stockholm – Turku – Stockholm ohne Landgang, ohne Schiffswechsel) und 44stündige Mini Cruises (Stockholm – Turku – Stockholm mit Landgang, mit Schiffswechsel). Grundsätzlich sind die Fähren aber natürlich im Liniendienst beschäftigt, befördern also Touristen mit und ohne Auto genauso wie LKW-Fahrer, deren Fracht im Bauch der Schiffe mitreist. Die Viking Glory muss also Frachtschiff, Tages- und Nachtfähre sowie Kreuzfahrtschiff in einem sein – keine leichte Aufgabe.

Verinnerlicht haben dieses Konzept jedoch alle Beteiligten, was bereits damit anfängt, dass mir schon der Zollbeamte im Stockholmer Terminal nach dem Blick in meinen Pass auf Deutsch eine „Gute Reise“ wünscht. Ein wohltuendes Detail zu einer Zeit, in der man sich an einer deutschen Grenze selber schon mal wie ein Schwerverbrecher vorkommen kann. Da macht es auch nichts, dass die Viking Glory die schwedische Hauptstadt am Ende mit 15 Minuten Verspätung verlässt. Das kann im Sommer schon mal vorkommen und ist in der Nacht mühelos wieder aufgeholt.

Schwedischer Touch

Apropos Nacht: Wer die Viking Glory „nur“ auf einer einfachen Fahrt von Schweden nach Finnland erlebt, wird das Schiff nicht in vollen Zügen genießen können, so viel sei vorab verraten. Denn die Ankunft in Turku ist morgens um 7:35 Uhr, und dazwischen liegt noch eine Stunde Zeitverschiebung. Entweder lässt man es sich also bei schwedischer Bordzeit gutgehen und muss mit einer sehr kurzen Nacht Vorlieb nehmen, oder man stellt seine Uhren gleich bei der Abfahrt auf finnische Zeit um, bekommt dadurch aber noch am Abend quasi eine Stunde weggenommen. Ich entscheide mich für erstere Option und genieße zunächst anderthalb Stunden lang ein fantastisches Abendessen im Büffet-Restaurant auf Deck 10 vorne, das in Sachen Speisenauswahl und Qualität keine Wünsche offenlässt. Ein Fünf-Gänge-Menü ist hier schnell zusammengestellt, und sogar die sonst so lästigen Schlangen entfallen – zu clever sind die einzelnen Stationen in Form kleiner „Inseln“ im Restaurant verteilt. Scharfe Würstchen mit Kartoffelauflauf und dazu Sprite, Flunderfilet in Riesling-Sauce bei einem Bier, gedünsteter Lachs und Rinderfilet bei Weiß- und Rotwein? Ist alles möglich und schmeckt an keiner Stelle nach typischen Büffet-Speisen. Zum Nachtisch noch mehrere Sorten Eis und Sorbet sowie Schoko- und Vanillepudding, Käse- und Streuselkuchen, und dazu Roséwein, und die Minikreuzfahrt nach Turku und zurück ist schon perfekt, ehe sie überhaupt so richtig begonnen hat. Anderthalb Stunden vergehen auf diese Weise wie im Flug, zumal die großen Panoramafenster zu verträumten Ausblicken auf die vorbeiziehende Schärenlandschaft einladen. Erst als die Viking Glory die Festung Oskar Frederiksborg passiert und damit bereits die Hälfte ihrer Revierfahrt durch den Schärengürtel zurückgelegt hat, trenne ich mich schweren Herzens nach einem allzu köstlichen Essen von Tisch Nr. 101. Zu dumm, dass es jetzt quasi schon 22:30 Uhr (finnischer Zeit) ist.

Viking Grace und Viking Glory

Nachdem 2013 der Neubau Viking Grace auf den Nacht-Abfahrten ab Turku die Isabella ersetzt hatte, begann man bei der Viking Line auch schon mit Planungen für ein Schiff, das den Platz der Amorella auf den Abendfahrten ab Stockholm einnehmen sollte. Während die Viking Grace so von der finnischen Designfirma dSign Vertti Kivi entworfen und für ein überwiegend finnisches Publikum konzipiert wurde, trägt die 65.211 BRZ große Viking Glory die Handschrift der Stockholmer Firma Koncept Design. Die verfügte bis zur Auftragsvergabe noch über keinerlei Erfahrung mit der Inneneinrichtung von Passagierschiffen, hat jedoch die Aufgabe, den Neubau an den Geschmack und die Vorlieben des schwedischen Viking Line-Publikums anzupassen, mit Bravour gemeistert. Viele Design-Elemente ahmen Maritimes nach und ähneln nicht von ungefähr Wellenbrechern, Leuchttürmen, Fischer-Lampen oder Sonnenuntergängen. Insofern ist die Viking Glory eine mehr als würdige Partnerin der Viking Grace, die in ihrer Inneneinrichtung trotz vieler farbenfroher Elemente die karge Schönheit der finnischen Schärenwelt aufgreift.

Doch damit nicht genug. Die Viking Glory musste auch einem Generationenwechsel beim Publikum Rechnung tragen, das im 21. Jahrhundert nicht mehr wie früher üblich an Bord möglichst billig essen, billig trinken und billig einkaufen will, sondern das seinen Fokus plötzlich auf Entspannung, Erholung, Fitness sowie eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Küche legt. Nachhaltigkeit wiederum ist auch der Reederei wichtig; immerhin war die Viking Grace bei ihrer Indienststellung 2013 die erste Kreuzfahrtfähre weltweit, die mit umweltfreundlichem LNG betrieben wurde. Das und vieles mehr sollte selbstverständlich auch für ihre jüngere Schwester gelten.
Ein richtiges Schwesterschiff ist die Viking Glory dann aber nicht geworden; zu viele Änderungen hatte man ab 2015 in die Planungen für den Nachbau fließen lassen. Dieser ist am Ende nicht nur dreieinhalb Meter breiter geworden (35,60 m gegenüber 31,80 m), was auf den Autodecks eine Spur mehr ermöglicht, sondern er versteckt seine LNG-Tanks auch diskret im Schiffsrumpf, was insbesondere bei der Konzeption der Außendeckflächen völlig neue Möglichkeiten bot. Last but not least wird die Viking Glory durch Azipods statt Schrauben angetrieben, was ihr bessere Manövrier-Eigenschaften und eine höhere Fahrtruhe als ihrer älteren Fast-Schwester verleiht. (Und dazu auch noch Treibstoff sparen hilft; ihr Verbrauch liegt noch einmal 10% unter dem der Viking Grace.) Geblieben ist dafür das durchdachte Layout: Die Kabinen befinden sich auf den Decks 5 – 8, die öffentlichen Räume dagegen darüber auf den Decks 9 – 11. Hier ist nicht nur die Aussicht auf die Schären-Landschaft besser (wofür das Schiff mit extragroßen Panoramafenstern ausgestattet wurde), sondern dies verhindert auch unnötig lange Wege zwischen der eigenen Koje und den Orten des Geschehens an Bord. Die öffentlichen Bereiche wiederum sind vertikal aufgeteilt – Essen und Entspannung vorne im Schiff, Shopping und Unterhaltung achtern. Auch dies hilft bei der Orientierung und bei der Vermeidung doppelter Wege.

Nachtleben

Doch zurück zum Geschehen an Bord. Hier ist das Minikreuzfahrt-Programm am späteren Abend längst in vollem Gange – eine Tradition, die die Viking Glory mühelos von ihrer populären Vorgängerin Amorella übernommen hat. Wer in den separat gelegenen Edel-Restaurants „Kobba“ und „Fyren“ zu Abend gespeist hat, ist bereits in den Genuss lieblicher Melodien des Pianisten Georgi gekommen, ansonsten spielt am Abend zunächst das Lounge Trio „Tea for Three“ im Torget auf, ehe um 22 Uhr (schwedischer Zeit) die Bord-Band „Lush“ das Zepter im Vista Room an sich reißt. Beim Torget (Marktplatz) ist der Name übrigens Programm: Über zwei Decks verteilt sind hier in der Mitte des Schiffes diverse Cafés und Lounges gelegen, die sich allesamt in Seh- und Hörweite der Bühne auf der unteren Ebene (Deck 9) befinden. Ähnlich wie beim „Theatrium“ der Aida-Kreuzfahrtschiffe kann man hier also wahlweise verweilen, um Show und Musik zu verfolgen, oder auch nur vorbeiflanieren bzw. es sich mit einem Snack oder einem Getränk gemütlich machen, um zu sehen und gesehen zu werden.

Der Vista Room dagegen ist die moderne Interpretation des klassischen Nightclubs, kommt jedoch auch mit interessanten Innovationen daher. Zum einen bietet er mit seiner Höhe von anderthalb Decks ein ungewöhnlich großzügiges Raumgefühl für eine Fähre, zum anderen sind Bar, Lounge und Sitzgruppen auch hier so diskret voneinander abgegrenzt, dass sie wie verschiedene Räume wirken, ohne dass man jedoch das Geschehen auf der Bühne aus den Augen verlieren könnte. Zu fortgeschrittener Stunde schlägt sich die Band mit dem Brian Adams-Klassiker „Summer of 69“ sehr wacker, trotzdem fragt man sich, wo plötzlich die vielen Passagiere hin sind, die vor zweieinhalb Stunden im Terminal noch dicht an dicht gedrängt gestanden haben. Auch der Troubadour im „Algoth’s“, einer gemütlichen kleinen Lounge achtern auf Deck 10, spielt nach Sonnenuntergang vor ziemlich leeren Rängen. Seinen Namen verdankt die Lounge übrigens Algoth Niska, einem finnischen Fußballnationalspieler, der durch seine Doppelrolle als Whisky-Schmuggler und Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg zum Nationalhelden avanciert ist – eine Karriere, die man so vielleicht nur in Finnland hinlegen kann.

Der letzte Punkt im Tagesprogramm ist der DJ, der um 23:45 Uhr im Vista Room die tapfersten Nachteulen musikalisch unterhalten darf, ehe die Viking Glory für ein paar Stunden in verhältnismäßiger Ruhe ihrem Ziel entgegenfährt. Wobei: Um 2:15 Uhr (3:15 Uhr Ortszeit) legt sie noch einen kurzen Zwischenstopp in Långnäs auf den Åland-Inseln ein, wo Passagiere aus- und zusteigen können bzw. Fracht gelöscht und neue geladen wird. Eine Fähre schläft nie.

Turku und wieder zurück

Als die Viking Glory am nächsten Morgen um kurz nach halb acht Uhr Turku erreicht, liegt dichter Nebel über Hafen und Stadt. Die altehrwürdige Burg aus dem 13. Jahrhundert ist nur in Schemen zu erkennen, lediglich das Treiben auf dem Pier und im Terminal lässt sich vom Schiff aus beobachten. Die Fährpassagiere müssen das Schiff nun schnell verlassen, denn innerhalb von einer Stunde muss die komplette Ladung gelöscht und müssen 2.500 neue Gäste durch das Terminal an Bord geschleust werden. Das klingt unmöglich, ist aber dank dreier Doppelstock-Gangways, die an gleich zwei Decks der Viking Glory ansetzen, ein eingespieltes Procedere. Zur selben Zeit geht an der Backbordseite der Kreuzfahrtfähre die Seagas längsseits, ein Tankschiff, das die Viking Glory mit LNG für die kommenden Fahrten versorgt. Eine Tankfüllung reicht dabei für drei Rundreisen, dann werden die Dienste des Tankers abermals benötigt. Geeignet ist die 33.000 kW starke Maschinenanlage der Viking Glory jedoch genauso für Diesel, Biodiesel und Methanol. „Multi fuel-ready“ nennt sich das in der Fachsprache und klingt erstmal nachhaltig, wenn nicht alle natürlichen und synthetischen Alternativen zum herkömmlichen Diesel bislang noch immer um ein Vielfaches teurer wären als eben jener. Daran änderte auch die von der Reederei ausgerufene „Green Week“ im September nichts, während der Viking Grace und Viking Glory probeweise mit LBG (Liquified Bio Gas) fuhren, was die CO2-Emissionen der Schiffe noch einmal um 90% reduzierte. Wegen der höheren Kosten greifen jedoch die meisten Reedereien bisher nur unter Schmerzen auf derlei Mittel zurück, können jedoch bei Preisänderungen am Markt sofort reagieren und die Art des Treibstoffs wechseln.

Pünktlich legt die Viking Glory um 8:45 Uhr wieder in Turku ab. Der Morgennebel hält sich hartnäckig, an Deck verpasst man also nichts. Mit laut dröhnendem Nebelhorn geht das Schiff auf seine Schleichfahrt durch die Schären. Erst als sich die Viking Glory der offenen See nähert, lichtet sich der Nebel und gibt endlich die Sicht auf den südfinnischen Schärengürtel frei. Regelmäßige Passagiere der Route vermissen nun jedoch einen jahrzehntelang vertrauten Anblick – den der Fähre des ewigen Konkurrenten Silja Line nämlich. Die schwamm den Schiffen der Viking Line auf dieser Route fast 60 Jahre im Kielwasser (bzw. voraus) – beide Reedereien boten über mehrere Schiffsgenerationen hinweg fast identische Fahrpläne und Preise. Erst als im Zuge der Corona-Pandemie die Passagierzahlen einbrachen und sich infolge des Ukraine-Krieges lukrative Chartermöglichkeiten für große Nachtfähren auftaten, die plötzlich zu Wohnschiffen für Geflüchtete mutierten, änderte sich dies. Die Silja Line-Fähre Galaxy, die sonst praktisch parallel mit der Viking Glory-Vorgängerin Amorella verkehrte, hat die Route 2022 verlassen und überlässt ihrer Konkurrentin mit dem roten Rumpf die Morgenabfahrten ab Turku praktisch konkurrenzlos. Dies spürt man an Bord durchaus, erzählt man uns, einen anderen Umstand jedoch auch: Dass nämlich die Reederei Finnlines, die vom benachbarten Hafen Naantali aus nach Kapellskär verkehrt, erst kürzlich mit der Finncanopus und Finnsirius Neubauten in Dienst gestellt hat, deren Annehmlichkeiten sich mit denen der Galaxy und der Viking Glory durchaus messen lassen können. Und damit hat man im Hause Viking Line nicht nur eine Sorge weniger, sondern gleich wieder eine neue hinzubekommen.

Tagesfähre de luxe

Die Mehrzahl der Passagiere nutzt den Auftakt der elfstündigen Fahrt nach Stockholm für ein ausgiebiges Frühstück im Büffetrestaurant. Einige wenige kommen jedoch in den Genuss, das ihre im „Kobba“ einzunehmen. Auf Deck 11 gelegen, ist dieses „entspannte Bistro-Restaurant mit ungezwungener Speisekarte“ (Viking Line) das Pendant zum vornehmen „Oscar‘s“ auf der Viking Grace– ein intimes Restaurant, das morgens zum „Premium-Frühstück“ einlädt – Sekt und Klaviermusik inklusive. Die Speisen sind köstlich, und der frische Waldbeerenkompott setzt dem Ganzen die Krone auf. Essen wie Gott in Frankreich? Eher wie ein Minikreuzfahrt-Passagier in Finnland. Das Premium-Frühstück kostet 23 €, das 4-Gänge-Menü im gleichen Etablissement 49 €.

Das reguläre Frühstück im Büffet-Restaurant schlägt dagegen mit 16 € zu Buche, das Mittagsbüffet mit 28,50 € und das opulente Abendbüffet mit 41 €. Schlemmen lässt es sich zu jeder Tageszeit trefflich auf den Viking Line-Fähren, viele Kunden sind aber selbst in den Hochpreisländern Schweden und Finnland von Bordpreisen wie diesen inzwischen mittelstark abgeschreckt. (Im Viking Terrace kostet der Caesar‘s Salad 15 € und ein Burger 20 €, eine Pizza Margherita unter Deck und selbst die typisch schwedischen Köttbullar mit Kartoffelbrei jeweils stolze 16 €.) Ein Schnäppchen ist die Minikreuzfahrt also im Vergleich zu früher nicht mehr, da wundert es nicht, dass die Reedereien mittlerweile vor allem in der Nebensaison Schwierigkeiten haben, ihre luxuriösen Großfähren zu füllen.

Die Baltic Princess der Silja Line (die für ihren Eigner aktuell allein zwischen Stockholm und Turku unterwegs ist) fasst genauso wie die Viking Glory maximal 2.800 Passagiere, wobei letztere selbst heute, auf dem Höhepunkt der Hochsaison, „nur“ 2.000 Gäste an Bord hat. Da ist noch Luft nach oben. Dieser Umstand trägt jedoch zumindest dazu bei, dass sich die Viking Glory auf ihrer Tagesfahrt von Turku nach Stockholm umso mehr genießen lässt. Denn während man auf der Nachtfahrt von Schweden nach Finnland wegen der Zeitumstellung nur einen flüchtigen Eindruck von dem Schiff bekommt, gilt für die Fahrt in Gegenrichtung das Gegenteil. Hier bekommt man eine Stunde geschenkt und kann die Fahrt bei Tageslicht in vollen Zügen genießen. Wer abends mit der Viking Grace in Turku abgelegt, darf sich auf ein Party-Schiff mit einem bunten Nachtleben freuen, die Viking Glory ist dagegen „laid back“, wie man uns an Bord versichert. So hat man z. B. den Night Club „Vista“ auf diesem Schiff so konzipiert, dass er auch als „Day Club” funktioniert, also als gemütliche Lounge, in der man sich die Zeit der Tagesfahrt durch die Schären stilvoll und mit musikalischer Untermalung vertreiben kann. Trotz ihrer über 900 Passagierkabinen in 23 Kategorien (darunter die 62 qm große Sunset Suite mit eigenem Whirlpool und getrenntem Wohn- und Schlafbereich) ist die Viking Glory also auch eine Tagesfähre „de luxe“. Auch hat man die Bars und Lounges an Bord so gebaut, dass sie sich ohne viel Mühe in Teilen verkleinern oder absperren lassen, ohne dass die Passagiere dies bemerken. Diese Flexibilität und Kombination von Funktionalitäten ermöglicht es auch, dass die Viking Glory bei einer wesentlich höheren Passagierkapazität gegenüber der Amorella über die gleiche Besatzungsstärke verfügt – ein wichtiges Mittel, die Profitabilität des Betriebs weiter zu gewährleisten.

Eine Minikreuzfahrt für alle Geschmäcker

Anderthalb Stunden nach der Abfahrt, als die meisten Passagiere ihr Frühstück beendet haben, beginnt auch das „offizielle“ Kreuzfahrtprogramm an Bord. „Ville Viking“, das in den Reedereifarben Rot und Weiß gestreifte Kindermaskottchen, lädt im Vista Room zur Willkommensparty für die kleinen und ganz kleinen Passagiere ein, während auf der Bühne im Torget wieder das Trio „Tea for three“ aufspielt. Kaum dass die Sommersonne den morgendlichen Nebel wieder verdrängt hat, verlagert sich das Hauptgeschehen jedoch auf die Außendecks, und die sind ein eindeutiger Vorteil, den die Viking Glory gegenüber der Viking Grace genießt. Denn das neuere Schiff verfügt nicht nur über bereits erwähntes großes Sonnendeck achtern und ein herrlich breites Promenadendeck zu beiden Schiffsseiten auf Deck 7, sondern auch über die „Viking Terrace“. Dabei handelt es sich laut Reederei um eine „Sommeroase“, die die Funktionen einer Open Air-Cocktail-Bar mit denen eines Fast Food-Restaurants verbindet. Geöffnet von früh morgens bis spät in die Nacht und ebenfalls in den Viking Line-Farben Rot und Weiß gehalten (was ihr ein bisschen die Anmutung einer Pizzeria verleiht), treten hier am Abend DJs und Musiker auf, wobei die Außenterrasse dank ihres beweglichen Glasdaches auch als Wintergarten fungieren kann und in der Adventszeit dank Windschutz und Außenheizung auch schon mal zum Weihnachtsmarkt auf See mutiert. Mittschiffs auf Deck 11 direkt vor/unter dem Schornstein gelegen, kann man einen sonst eher stiefmütterlich behandelten Platz an Bord nicht cleverer ausnutzen.

Trotzdem versammeln sich an diesem sonnigen Vormittag, während draußen die Abstände zwischen den Schären allmählich größer werden, die meisten Passagiere achtern, was vor allem an „Uncle John“ liegt. Onkel John verkörpert den Archetyp des Troubadours, der mit bodenständigem Outfit und knappen Ansagen ein schier unerschöpfliches Repertoire an Country- und Western Songs an seiner Gitarre zum Besten gibt, die den ersten Teil der Seereise wie im Flug vergehen lassen. Da sind die Schären plötzlich nur noch Kulisse und die Viking Glory nicht mehr das Kreuzfahrtschiff, in dem man vorhin noch Sekt zum Frühstück trinken durfte, sondern ein Stück Route 66 mitten auf der Ostsee, Bier und Fahrtwind inklusive.

Die lieben Kleinen kann man währenddessen in die professionelle Obhut von Ville Viking und seinem Team geben: Während der Sommermonate dient der komplette Konferenzbereich auf Deck 9 vorne als „Adventure Island“ für Kinder und Jugendliche. In einem Tagungsraum wird so Lego oder Duplo gebaut, nebenan gekickert und gegenüber ein Zeichentrickfilm vorgeführt. Würde nicht am frühen Nachmittag plötzlich eine größere Unruhe das Schiff erfassen, als die Viking Glory ihren Zwischenstopp in Mariehamn auf den Åland-Inseln einlegt, wo zwischen 14:10 Uhr und 14:25 Uhr viele Passagiere aus- und neue einsteigen und auch der Troubadour eine Pause macht, könnte man sich glatt bis zur Ankunft in Stockholm dem süßen Nichtstun an Deck hingeben.

Zu Besuch beim Kapitän

Nicht so natürlich Kapitän Ulf Lindroos. Er hat die Viking Glory bereits von der chinesischen Bauwerft Xiamen Shipbuilding (XSI) nach Europa überführt und kennt das Schiff vermutlich besser als jeder andere. Wir treffen ihn während der Fahrt zwischen Mariehamn und dem Beginn des Stockholmer Schärengürtels auf der Kommandobrücke. Dabei berichtet er vom Bau des 200 Mio. € teuren Schiffes, der gleich in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung gewesen sei. Zum einen habe die Viking Line nicht nur zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte einen Neubauauftrag an eine Werft in Fernost vergeben, sondern dazu auch noch an eine, die im Bau von Passagierschiffen, der ohnehin zu den komplexesten Aufgaben schlechthin im Weltschiffbau zählt, komplett unerfahren war. Zugleich bestand man seitens der Reederei auf skandinavischen bzw. europäischen Bauteilen, musste diese also alle extra einfliegen lassen. Und dann brach Anfang 2020 auch noch die Corona-Pandemie aus, die Lieferketten unterbrach und gewohnte Arbeitsabläufe gehörig aus dem Tritt brachte. Kein Wunder, dass das Schiff, welches Ende 2016 bestellt wurde und ursprünglich bereits 2020 abgeliefert werden sollte, tatsächlich erst Ende März 2022 seinen Dienst antreten konnte. Da war die Pandemie zum Glück so gut wie vorbei, so dass die Viking Glory frisch getauft gleich vom ersten Aufschwung des internationalen Tourismus nach dem Ende von Corona profitieren konnte.

Mit einigen optischen Anleihen an die Helsinki – Tallinn-Fähre Viking XPRS konnte sie in der Folge nahtlos an den Erfolg anknüpfen, den auch ihre ältere Fast-Schwester Viking Graceals „New Kid in Town“ in den ersten Betriebsmonaten und -jahren genoss. Stillstand bedeutet jedoch Rückschritt, weshalb man auch auf der Viking Glory ständig beobachte, was gut funktioniere und was nicht. Die Vista Cocktail Lounge z. B., jener etwas abseits gelegene Anhang zum Vista Room, soll demnächst in ein vollwertiges Pub umgebaut werden und auf diese Weise zusätzliche Einnahmen generieren. Außerdem sollen Viking Grace und Viking Glory mit Batterien ausgerüstet werden, um noch mehr Treibstoff einzusparen. Das wird aber vermutlich erst 2026 passieren, erklärt Kapitän Lindroos.

Der Schärengarten bei Tag

Nachdem die Minikreuzfahrtgäste den Stockholmer Schärengürtel, der im Schwedischen passenderweise Skärgård“ (Schärengarten) heißt, auf der Hinfahrt noch verschlafen oder bestenfalls im Dämmerlicht gesehen haben, können sie ihn auf der Rückfahrt in die schwedische Hauptstadt in vollen Zügen genießen. Viereinhalb Stunden dauert die Revierfahrt zwischen Kapellskär und Stockholm, während der die Viking Glory immer wieder abbiegt, hinter großen und kleinen Inseln verschwindet, die Fähren und Kreuzfahrtschiffe in Gegenrichtung passieren lässt oder einfach nur in gemächlichem Tempo an kleinen und großen Schären vorbeizieht. Wenn Sie ein Fan der typisch schwedischen roten Holzhäuschen sind oder sich an einsamen Buchten, verlassenen Bootsstegen und Schwänen nicht sattsehen können, wird dies nicht Ihre letzte Rundreise auf einer der Kreuzfahrtfähren zwischen Schweden und Finnland gewesen sein. Jede Schäre ist hier ein kleines Idyll, jede Minute an der Reling Balsam für Körper und Seele. Nimmt man dazu noch die gemütlichen Lounge-Sofas auf dem Sonnendeck, die sogar mit Kissen daherkommen, oder die Sitzinseln aus Holzplanken, die bei Dunkelheit beleuchtet sind, braucht man die luxuriösen „inneren Werte“ der Viking Glory fast gar nicht mehr. Ihre zehn Restaurants und Bars z. B. – angefangen beim großen Büffetrestaurant bis hin zum „Fyren“ mit seinem rotierenden Tisch und der 220°-Sicht für kleine geschlossene Gesellschaften. Das Spa mitsamt Fitness-Studio, wo man die Aussicht auf die Ostsee wahlweise aus Swimmingpool, Whirlpool oder von der Massagebank aus genießen kann. Oder den riesigen Bord-Shop, in dem man dank des zollrechtlichen Sonderstatus der Åland-Inseln tatsächlich noch immer „tax free“ einkaufen kann.

Wenn Sie im Sommer mit der Viking Glory von Turku nach Stockholm fahren, bleibt Ihnen aber wahrscheinlich vor allem die entspannte Atmosphäre auf dem Sonnendeck in Erinnerung. Der „DJ on stage“, der während des zweiten Teils der Reise für gute Stimmung unter der skandinavischen Sonne sorgt, ehe er in bewährter Manier wieder vom Troubadour abgelöst wird. Oder der großartige Vista Room, in dem auch tagsüber eine Band auftritt, was man in einem Club wie diesem ansonsten nur abends vermutet hätte. Oder haben Sie etwa die halbe Fahrt im Adventure Island verbracht, wo ihre Sprösslinge sich nacheinander bei Schnitzeljagd („Quiz Walk“), Spielen und Wettbewerben aller Art amüsiert haben? Die etwas über elf Stunden reichen am Ende fast gar nichts aus, um die Viking Glory mit all ihren Annehmlichkeiten und Facetten kennen und schätzen zu lernen. Ist sie nun also tatsächlich „die ultimative Kreuzfahrtfähre“? Man ist geneigt, diese Frage mit Ja zu beantworten.

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Kai Ortel

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